Das Gründerzeithaus in Zeiten der Energiekrise – ein Ausblick von Philipp Maisel
Fotos: Christian Steinbrenner
Seit dem Beginn der COVID-19 Pandemie Anfang 2020 befindet sich die Weltwirtschaft in unsicheren Zeiten. Diese schwankende Entwicklung hat auch in der Immobilienbranche deutlich ihre Spuren hinterlassen. Zusätzlich verschärft wurden diese Tendenzen durch den in allen Aspekten katastrophalen Ukrainekrieg, der die nicht nur die internationalen Beziehungen, sondern auch das Bild, das wir von Europa haben nachhaltig verändert. Damit einher geht eine veritable Energiekrise – so ist der nationale Gaspreis gemäß des österreichischen Gaspreisindex (ÖGPI) seit Ende Februar 2022 im Jahresvergleich um 377 % und der Strompreis gemäß des österreichischen Strompreisindex (ÖSPI) im selben Zeitraum um 256 % gestiegen. Naturgemäß ist der bauliche Altbestand stärker von Energiepreisanstiegen betroffen als der bereits energieeffizient konzipierte Neubau.
Diese konjunkturelle Änderung hat einschneidende Auswirkungen auf das Investitionsverhalten von Zinshauskäufern einerseits und schafft andererseits einen oftmals neuen Blickwinkel für Bestandshalter auf ihr bestehendes Immobilienportfolio. In Verbindung mit dem am 14.09.2022 erstmals seit März 2016 wieder angehobenen Leitzinssatz der EZB auf aktuell 1,25 % und weiteren erwarteten Erhöhungsschritten ist es wohl nicht vermessen zu sagen, dass wir uns am Anfang einer wirtschaftlichen Zeitenwende befinden.
Reges Marktgeschehen am Wiener Zinshausparkett
Obwohl dieses gesamtwirtschaftliche Umfeld viele Assetklassen innerhalb der Immobilienbranche zunehmend unter Druck bringt, hat sich das Wiener Zinshaus einmal mehr als sicherer Hafen für Anleger erwiesen. So ist sowohl die Gesamtanzahl an Transaktionen 2022 erneut angestiegen und auch das Transaktionsvolumen stieg gegenüber dem Vergleichszeitraum 2021 um 14 % an.
Die Preissteigerungen in den einzelnen Bezirken lagen im Schnitt unverändert im zweistelligen Prozentbereich. Ein im Kontext der makroökonomischen Situation sensationelles Ergebnis, das eines der wesentlichen Merkmale des Zinshauses, und zwar die Investmentsicherheit, nachhaltig unterstreicht.
Innerhalb der sehr heterogenen Gruppe der Zinshausnachfrager kristallisiert sich der deutliche Wunsch hervor, in Zinshäuser zu investieren, die bereits über Green Building Features verfügen. Auf diese Weise fließen Bestimmungen, die sich aus den ESG-Kriterien ergeben, wie beispielsweise das Verbot von Gasthermen, bereits jetzt in das Investitionsverhalten ein.
Nachhaltigkeit im Wiener Zinshaus
Die Energiekrise führt dazu, dass Eigentümer verstärkt die Möglichkeit prüfen, ihre Immobilie zukunftsfit zu machen. Objekte sollen energetisch-thermisch saniert werden, es wird geprüft ob Wärmepumpen oder etwa Solarpaneele angebracht werden können. Derartige technische Nachrüstungen sind jedoch nicht beim kompletten Zinshausbestand simpel durchführbar.
Neben den Kosten spielt oft der fehlende Platz durch die typischerweise geschlossene Bauweise in Verbindung mit engen Innenhöfen für etwaige Sanierungen eine große Rolle. Auch die statische Situation des Hauses bei Umsetzbarkeit der angedachten Maßnahmen gibt oft Anlass zur Sorge.
Fördermöglichkeiten gibt es zwar einige, auf die wir in unserem aktuellen Zinshaus-Marktbericht auf Seite 8-11 genauer eingehen, aber bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung rechnet sich es für Eigentümer häufig auch mittelfristig nicht, die technische Nachrüstung in Angriff zu nehmen. Es gibt derzeit unterschiedliche Überlegungen, wie diese Maßnahmen incentiviert werden könnten. So könnte beispielsweise im Rahmen des §16 MRG ein neuer Tatbestand geschaffen werden, der dem Vermieter bei Aufwendung erheblicher Eigenmittel die Möglichkeit einräumt, den angemessenen Mietzins zu verlangen. So wären Eigentümer:innen auch finanziell motiviert, die kapital- und zeitintensiven Adaptierungsarbeiten durchzuführen.
Privatpersonen als prägende Akteure
Im Kontext steigender Bau- und Finanzierungskosten gehen einige Zinshausentwickler defensiver als in der Vergangenheit vor. Auf der Käuferseite ist so die Bedeutung von Privatpersonen erneut angestiegen. Dieser Gruppe ist durch unsere professionelle Unterstützung in der Lage, mit am Markt bereits etablierten Playern auf Augenhöhe zu agieren.
Dies gilt insbesondere auch für den Immobilienverkauf, wo sich Privateigentümer zunehmend mit der Zukunftsfähigkeit ihres Objektes auseinandersetzen müssen. Hier ist definitiv ein guter Zeitpunkt zum Verkauf gegeben, da größere Bestandshalter eher in der Lage sind, die anstehenden Herausforderungen positiv zu beantworten. Unsere maßgeschneiderten Verkaufsverfahren kommen in diesem veränderten Marktumfeld für private Eigentümer ganz besonders gut zur Geltung, was sich in zahlreichen Transaktionen im Jahresverlauf gezeigt hat, die wir für private Eigentümer erfolgreich strukturiert haben.
Für die nächsten beiden Quartale erwarten wir auf den Energie- und Finanzmärkten unverändert anspruchsvolle Zeiten, was mit Sicherheit auch auf den Wiener Zinshausmarkt Auswirkungen haben wird.