Ausblick – OTTO Immobilien Teamleiter Retail Anthony Crow zur aktuellen Marktstimmung

Anthony Crow – OTTO Immobilien Teamleiter Retail – zur aktuellen Marktstimmung

Ausblick – OTTO Immobilien Teamleiter Retail Anthony Crow zur aktuellen Marktstimmung

„Der Markt von morgen wird von Nutzungen abseits der klassischen Vertriebslinien im stationären Einzelhandel geprägt sein“ – Anthony Crow

Text: Anthony Crow // Fotos: Christian Steinbrenner

Sie stellen sich die berechtigte Frage, ob der stationäre Einzelhandel nach der Corona-Pandemie wieder zur alten Stärke zurückfinden wird? Unsere Antwort ist: Ja. Wahrhaftig erlebt der stationäre Handel seit einigen Jahren einen Strukturwandel. Retail steht grundsätzlich europaweit weiterhin unter einem eruptiven Restrukturierungsdruck. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation für viele stationäre Retailer zusätzlich verschärft. Darüber hinaus gehen Trendexperten davon aus, dass durch die Krise ein Wertewandel der Konsumenten eingesetzt hat, der zukünftig zu veränderten Bedürfnissen und einem angepassten Kaufverhalten führen wird und sich der Handel daran anzupassen hat. Auch wenn diese Transformationsprozesse zweifellos signifikant sind und weiter sein werden, generieren sie auf langfristige Sicht auch Chancen.

Chancen die nach und nach bereits genutzt werden können, denn am heimischen Einzelhandelsvermietungsmarkt ist seit Beendigung der Lockdowns im Frühjahr – trotzdem die Tourismusbranche weiterhin stark beeinträchtigt ist – ein deutlicher Aufwärtstrend spürbar und Leerflächen können mit neuen Mietern bereichert werden.

Bei all den negativen Erfahrungen kann der stationäre Einzelhandel differenziert betrachtet werden, denn grundsätzlich sind nicht alle Branchen, Standortzonen und Nutzer von den Auswirkungen der Corona-Pandemie in gleicher Art und Weise beeinträchtigt. So konnten neben dem Onlinehandel der versorgungsrelevante Lebensmitteleinzelhandel mit einem Umsatzplus von rund 10 % positive Zahlen schreiben (Quelle: Acredia und Euler Hermes). Genauso wie Baumärkte, die Bereiche Sport & Outdoor, Discounter und weitere Konzepte mit Fokus auf Produkte des täglichen Bedarfs.

Gleichzeitig wird es in den nächsten Jahren von zunehmender Relevanz sein, gemeinschaftlich Akzente zu setzen sein, um unsere Einkaufsstraßen und innerstädtischen Lagen, welche vormals vom Einzelhandel dominiert wurden, mit neuer Stärke und Attraktivität zu versehen. Auch ohne weitere Insolvenzen werden sich die Filialnetze der Retailer, insbesondere auf High Streets und in Shopping-Centern ausdünnen. Die Nachfrage nach stationären Dependancen wird vor allem bei Filialisten in B- und C-Lagen sinken, im Gegenzug allerdings die frequenzstarken Lagen und gut etablierten Nahversorgungszonen weiterhin nachgefragt bleiben.

Graben, Wien, Vienna, Austria

Aufgrund der wiederholten Ladenschließungen und der damit verbundenen Einschränkungen beim stationären Shopping sind die Retailer mehr denn je gezwungen, Konsumenten auf neuen (Vertriebs-) Kanälen zu erreichen. Mittlerweile sind in Österreich etwa 42 % der stationären Einzelhändler im Internet vertreten (Quelle: KMU Forschung Austria). Neben dem attraktiven Onlineauftritt erwarten Konsumenten auch eine direkte Warenverfügbarkeit und adäquate Liefergeschwindigkeit. Der steigende Onlinehandel in Kombination mit höheren Umsatzanteilen durch die Implementierung von Maßnahmen wie beispielsweise Click & Collect werden zwar nach und nach State-of-the-Art, stellen aber auch die Logistik der Konzepte vor neue Herausforderungen. So beobachten wir neue Konzepte aus dem Segment des E-Commerce, die auf den Markt drängen und sich genau dieser Aufgabe widmen, das Ziel der Kundschaft eine Same-Day/ Next- Day-Delivery zu gewährleisten.

Gravierendere Veränderungen werden sich in den am stärksten von den Lockdowns betroffenen Branchen wie Fashion, Schuh & Leder, Schmuck und Parfümerie abzeichnen. Wir gehen davon aus, dass wir zukünftig in diesen Bereichen eine Neudurchmischung erleben werden, sprich einen Mix aus neuen Konzepten, angepassten Flächenkonzeptionen, Filialnetzoptimierungen aber auch Ladenschließungen. Die Produktinszenierung zur Untermalung des haptischen Produkterlebnisses werden zu nehmen, um neue Anreize zum Einkaufen zu schaffen. Der Markt von morgen wird somit von Nutzungen abseits der klassischen Vertriebslinien im stationären Einzelhandel geprägt sein. Nämlich durch Alternativnutzungen, Direktvertrieb von Produzenten und Herstellern, E-Mobilität-Konzepte, aber auch Nutzer aus anderen Branchen wie zum Beispiel „Flexible Workspaces“, die Geschäftslokale anmieten und Einkaufsstraßen bereichern können. Online Pure-Player dürften nun zukünftig außerdem häufiger stationäre Dependancen bespielen. Diese Entwicklung spricht letztlich für eine Stärkung von Flagship-Stores bzw. Monobrand-Stores und entsprechend für Standortentscheidungen, welche weniger anhand von Mietkosten als vielmehr von der Qualität oder dem Marketingeffekt eines Standortes getroffen werden.

Aufgrund der einschneidenden Gegebenheiten der vergangenen Monate, in Kombination mit den daraus resultierenden Trends werden Anpassungen bei Mietverträgen ein immer wichtiger Bestandteil bei Anmietungsprozessen. Neben Pandemieklauseln sehen Retailer vor, sich weniger langfristig zu binden, was dazu führt, dass Mietvetragslaufzeiten kürzer gehalten werden oder Ausstiegsszenarien definiert werden. Zudem fordern Retailer eine Anpassung der Mietniveaus durch die Erkenntnisse der Corona-Pandemie, die u.a. mit Staffelmietkomponenten, mietfreie Zeiten, sowie umsatzabhängige Mieten einhergehen.

Im Zuge der Vermarktungen beobachten wir einen generellen Trend zur Verkleinerung von Shopflächen und immer mehr individuellere, an den Standort angepasste Lösungen seitens Mietinteressenten. Bei Geschäftsflächen mit vertikaler Geschossstruktur erleben wir Potenzial zur Umnutzung obergeschossiger Mietflächen – u.a. durch Büronutzungen, medizinische Versorgung, Serviced Apartments oder Self Storage.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Marktberichtes befindet sich Österreich im 4. Lockdown, der den heimischen stationären Einzelhandel nun erneut im anlaufenden Weihnachtsgeschäft trifft. Auch heuer gehen Experten davon aus, dass der Distanzhandel daher wieder sehr vom Weihnachtsgeschäft profitieren wird. Der Lockdown soll zwar mit Mitte Dezember ein fixes Ablaufdatum haben, wodurch im Vergleich zu Lockdowns zuvor für Händler und Gastronomen eine gewisse Planbarkeit ermöglich wird, einschneidende Umsatzverluste sind dennoch zu erwarten. Lösungen wie Click & Collect können diese Verluste zwar entgegen wirken, gemäß Angaben der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz entgehen dem stationären Einzelhandel während des aktuellen Lockdowns allerdings Umsätze von bis zu 140 Mio. Euro pro Tag. Da Händler durch die vergangenen Lockdowns und Restriktionen bereits zahlreiche Erfahrungen sammeln konnten, bringt eine gewisse Routine die Möglichkeit bestmöglich und proaktiv auf die aktuellen Einschränken zu reagieren. Hinzu besteht aller Voraussicht nach die Chance weitere Umsatzeinbrüche durch die Öffnungen ab Mitte Dezember etwas abzufedern.
 

Retail-Marktbericht von Otto Immobilien, 2021


Diesen Beitrag haben wir unserem neuen Retail-Marktbericht 2021 entnommen.

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