Der „Club 45“
Zurück zum Michaelerplatz. Von hier ist es nur ein Katzensprung zum Kohlmarkt Nr. 14. Und dort interessiert uns nicht so sehr die weltberühmte Konditorei Demel im Erdgeschoss, sondern das Haus selbst. Ein Wohnhaus, das 1972 vom Besitzer Friedrich Ludwig Berzeviczy dem begabten Blender Udo Proksch verkauft wurde. Und der etablierte im 3. Stockwerk den „Club 45“ als eine Art britischen Herrenklub. Natürlich konnte niemand von der sozialistischen Schickeria ahnen, dass der Society-Liebling einmal als sechsfacher Mörder enden sollte. Mehr darüber liest man in Hans Pretterebners Bestseller „Der Fall Lucona“ ...
Unter den vielen Proksch-Freunden war einer besonders aktiv. Das war der damalige Bürgermeister Leopold Gratz, der es bis zum Außenminister und Nationalratspräsidenten bringen sollte. Auch er hatte eine Dienstwohnung im Rathaus, wie sie jedem Stadtoberhaupt zustand. Wie oft Gratz sie nutzte, bleibt unbekannt, er wohnte hauptsächlich in Pötzleinsdorf.
Mit „Dagi“ verbunden
Sein Nachfolger bestand nicht mehr auf diesem Privileg. Helmut Zilks Domizil befand sich in der Naglergasse 2, dritter Stock, mit einem prachtvollen Blick auf den Graben. In der Etage darunter hatte Ehefrau Dagmar ihr Atelier, verbunden mit einer Wendeltreppe hinauf zum Göttergatten. Und so kam es, dass der Pensionist Zilk oben dem Autor dieses Artikels seine Memoiren diktierte, worauf es von unten herauftönte: „Schreibts ihr für die Volkshochschul‘ oder soll das auch wer lesen?“
Auf der Hohen Warte
Apropos Dienstwohnungen. Auch Bürgermeister Franz Jonas nutzte diese kostenlose Annehmlichkeit, doch als er zum Bundespräsidenten gewählt war und ausziehen musste, war die Not groß: Das kinderlose Ehepaar Franz und Grete Jonas hatte nur eine bescheidene Mietwohnung in Floridsdorf. Dorthin konnte man keine Zelebritäten einladen. Also verkaufte der Rechtsbeistand der Creditanstalt, Kurt Grimm, seine Villa auf der Hohen Warte der Republik Österreich. Jonas, Rudolf Kirchschläger, Kurt Waldheim und Thomas Klestil verbrachten ihre Amtszeit in der nicht wirklich ansehnlichen Villa, die andauernd um- und ausgebaut werden musste, bis Heinz Fischer dankend darauf verzichtete und in seinen eigenen vier Wänden blieb. In der Josefstädter Straße, vis-a-vis vom Theater, wohnen die Fischers in einem prächtig Instand gehaltenen Miethaus der Wiener Städtischen Versicherung.
Fischers Amtszeit endete übrigens 2016 nicht mit einem totalen Auszug aus dem Leopoldinischen Trakt der Hofburg, weit gefehlt: Im Stockwerk über den Prunkräumen bezog er ein gefällig eingerichtetes Büro – neben vielen hochrangigen Beamten der Präsidentschaftskanzlei, die sich täglich behaglich der Biedermeiermöbel und der eleganten antiken Kachelöfen erfreuen.
Ein Stück Hochmittelalter
Wandert man durch die Naglergasse stadtauswärts, weitet sich der Platz – wir sind „Am Hof“, im Mittelalter die größte Freifläche der Stadt, in der man unglaublich eng aneinander wohnte. Zwischen der barocken Kirche „Zu den neun Chören der Engel“ und dem bekannten „Urbani-Keller“ befindet sich das hochbarocke Palais Collalto, in dem das Historiker-Ehepaar Helga Haupt und Adam Wandruszka oft Gäste in ihre Wohnung bat. Bei derlei Gesellschaften konnte man erfahren, dass im Keller noch Reste aus dem Hochmittelalter zu sehen seien - ein Rundturm und eine Mauer der alten ehemaligen Babenbergerpfalz.
Wo das Ballhaus stand
All die hervorragend restaurierten privaten oder in Staatsbesitz befindlichen Palais der Innenstadt waren einst Wohnstätten meist adeliger Familien, manche sind es auch heute noch. Auch das heutige Bundeskanzleramt diente natürlich als Wohnpalais. Bereits 1719 – das Haus befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im Bau – erhielt die neue Institution die Bezeichnung "Staatskanzlei". Erbaut wurde sie von Johann Lukas von Hildebrandt (1668–1745). Der aus Genua stammende Architekt hatte bereits das Schloss Belvedere in Wien, die Sommerresidenz Prinz Eugens von Savoyen errichtet und wurde sowohl vom Kaiser als auch von dessen Hofkanzler Philipp Ludwig Wenzel von Sinzendorf geschätzt.
Die Errichtung des Hauses wurde um 1721 abgeschlossen und die große Familie des Fürsten Wenzel Anton Kaunitz-Rietberg konnte endlich einziehen. Der Hof- und Staatskanzler machte sich als Reformer unter Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph verdient. Dann kam Metternich, der sich dann aber ein eigenes standesgemäßes Haus bauen ließ - heute die italienische Botschaft am Rennweg.
Feudale Parteizentrale
Auch das Palais Todesco ist ein Beispiel für den wachen Geschäftssinn der Gründerzeit für Immobilien. Seit 1848 leitete Eduard von Todesco mit seinem Bruder Moritz ein Großhandelshaus und eine Privatbank. 1861 begann der Neubau in der noblen Kärntner Straße Nr. 51 – ein Neo-Renaissance-Bau mit rund 500 Zimmern. Im Erdgeschoss vermietete man zu hohen Preisen elegante Geschäftsräume, in den Etagen über dem 1. Stockwerk fanden sich Mietwohnungen. Das Gebäude ging – über viele Umwege – nach 1945 in den Besitz der ÖVP-nahen „Bundesländer-Versicherung“ über, die es zu einem äußerst niedrigen Preis der Volkspartei als Hauptquartier vermietete. Erst in den Neunzigerjahren ging das in die Jahre gekommene Haus wieder in private Hände über.
Kein „Haus der Toleranz“
Ähnlich das Schicksal des Palais Epstein, an einem der eindrucksvollsten Plätze, den man sich als privater Ringstraßen-Bauherr vorstellen kann: An der Bellaria. Theophil Hansen schuf hier ein Werk, das sich seines prominenten Nachbarn nicht zu genieren brauchte: Das Parlamentsgebäude (ebenfalls von diesem Stararchitekten). Der Bauherr und Bankier Gustav Epstein verlor freilich schon nach ein paar Jahren im Börsenkrach von 1873 sein gesamtes Vermögen. Die Familie zog sich nach Budapest zurück, das Palais Epstein erlebte diverse Besitzer und Bewohner, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von der sowjetischen Besatzungsmacht als „Kommandantura“ zweckentfremdet, dann zog der Wiener Stadtschulrat ein und schließlich griff die Parlamentsdirektion zu. Heute führt der Prachtbau ein eher kümmerliches Leben als Dependance für Abgeordnete und Parlamentsbedienstete. So verhinderte man das „Haus der Toleranz“, das Leon Zelman als Ersatz für ein Nationalmuseum projektiert hatte.
Wer zählt die Namen ...
Ephrussi, Liechtenstein, Schwarzenberg, Starhemberg, Württemberg, Henckel-Donnersmark - alle bedeutenden Familien haben hier ihre Palais erbauen lassen, um dem kaiserlichen Hof nahe zu sein: Dietrichstein, Rottal, Erdödy-Fürstenberg, Walterskirchen, Neupauer-Breuner, Batthany, Caprara, Pallvicini, Palffy, Modena, Coburg ... Man muss nur wachen Sinnes durch diese Märchenstadt flanieren.
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ZUR PERSON: Prof. Hans Werner Scheidl arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.