Alteingesessene Weinhauerfamilien sind stolz auf ihre Tradition. Ganze Dynastien haben sich mit dem Weinbau und der Ausschank ihren Wohlstand erarbeitet. Und wie vieles hat es ganz klein begonnen: 1784 wollte der Reformkaiser Josef II. den verarmten Weinbauern in den Vororten von Wien aus ihrer prekären Lage heraushelfen. Seine „Unterthanen“ sollten sich eine kleine Zubuße dazuverdienen dürfen. Des Kaisers Verordnung galt lange Zeit hindurch, heute ist sie obsolet: Nur Eigenbauweine durften verkauft werden, dazu noch Most und selbst erzeugte Lebensmittel. Ein Föhrenbuschen kennzeichnete die – zeitlich begrenzte – genehmigte Ausschank.
Heute sieht man das längst nicht mehr so eng. Im Wiener Rathaus schätzt man die „echten“ Buschenschenken auf hundert Lokale. Dazu gesellen sich gastronomische Großbetriebe, die dem Zeitgeist Tribut zollen beziehungsweise auf die rasche, professionelle und effiziente Massenabfertigung der Touristen aus aller Herren Länder spezialisiert sind. Und das Geschäft blüht. Hatte man sich einst meist im Weingarten dem billigen Vergnügen hingegeben, sich mit einer roh gezimmerten Sitzbank beschieden, so sorgen heute gemütliche holzgetäfelte Stüberl mit Kachelöfen für Stimmung zu allen Jahreszeiten. Ja, und ein Buffet, das wirklich alle Stückln spielt. Je deftiger, desto besser.
Das Essen wurde mitgebracht, der Wein kam vom Winzer
Undenkbar, was bis in die Hälfte des 20. Jahrhunderts selbstverständlich war: Die Familien, die Ausflügler, die Weinbeisser, sie brachten ihre Verpflegung selbst mit, man verzehrte in aller Seelenruhe das kalte Essen aus dem Papierl, dazu vielleicht ein paar Gurkerln aus dem Glasl. Denn erstens mussten damals alle sparen, und zweitens war das gastronomische Angebot der Buschenschank – sagen wir – überschaubar. Das Höchste der Genüsse waren ein kalter Braten, ein Grammelschmalzbrot etwa. Das war‘s dann auch schon. Und nicht selten kam es vor, dass ein zufällig daneben sitzender Gast zu diesem einfachen Schlemmermahl am Nebentisch eingeladen wurde, Verbrüderungsszene danach nicht ausgeschlossen. Das hing ganz von der Weinkonsumation ab. Die Literflasche auf dem Tisch – so gehörte es sich. Man trank aus dem heute noch typischen Henkelglas. Warum das? Weil ja mit den Fingern gegessen wurde… Jedes andere Glas würde unansehnlich fettige Fingerspuren bekommen.
Für die Kinder war das saure Zitronen-, oder das süße Himbeerkracherl der Chimborasso der Genüsse. Und wenn die Erwachsenen die ersten paar Viertel konsumiert hatten, sangen sie lauthals mit den Musikern, die von Tisch zu Tisch wanderten. Ein echtes Schrammelquartett war freilich nur in florierenden Buschenschenken möglich, das ging ins Geld: Geige, Gitarre, Kontragitarre, dazu eine kleine Klarinette, das sogenannte „picksüße Hölzl“. Billiger war da das Engagement eines einzelnen Ziehharmonikaspielers.
Winzer und Feuerwehrhauptmann
Denn: Die Geselligkeit hatte immer Vorrang. Das wussten die Winzer schon vor Jahrhunderten zu nutzen. 1683 – die Osmanen hatten gerade erst die Belagerung der Reichshauptstadt Wien aufgeben müssen, wird in Heiligenstadt schon ein Sebastian Wagner erwähnt. Diese Weinhauerdynastie hat alle Stürme der Geschichte überdauert. Seit mehr als 330 Jahren betreibt sie ihr Weingut, das sich inzwischen über 12 Hektar Weingärten in Wien und in Klosterneuburg-Weidling erstreckt. Der älteste Kellerteil des Hauses stammt laut Familienchronik aus dem 17. Jahrhundert. Man heiratete innerhalb enger Grenzen und blieb im eigenen Beruf: Neustifter, Währinger, Sieveringer und Grinzinger Weinhauerfamilien fanden so zueinander, und das war gut so. Man war stolz auf die Tradition. Seit 1907 nennt sich ein Teil der großen Familie – zur einfacheren Unterscheidung von den vielen übrigen Nachkommen – einfach Feuerwehrwagner. Benannt nach dem damaligen Hauptmann der Freiwilligen Feuerwehr Heiligenstadt, Josef Wagner. Er war offensichtlich ein sehr aktiver Mann. Umso bitterer wird er die Enttäuschung empfunden haben, als die Stadt Wien 1925 die letzten freiwilligen Wehren in den früheren Vororten auflöste und eine einheitliche Berufsfeuerwehr schuf. Bis 1941 wurde ausgesteckt, dann beendete der Krieg alles Leben und alle Geselligkeit. Erst nach all dem Schrecken und der Not konnte man wieder an einen Heurigen denken. Von da an ging es zügig aufwärts. Und wie: Stammgäste aus früheren Jahren würden das großzügige Haus nach seinem Umbau 1972 kaum wiedererkennen. Geblieben ist der Hausname Feuerwehrwagner – und steht damit stellvertretend für einen wichtigen Teil der traditionellen Wiener Heurigenkultur.
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zum Autor: Prof. Hans Werner Scheidl arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.