EUGEN OTTO:
Wenn Sie spontan an ein Gründerzeithaus denken, an dem Sie gearbeitet haben, gibt es für Sie einen Favoriten?
MANFRED WEHDORN:
Nein. Jedes Projekt profitiert von der Persönlichkeit des Objektes per se. Und darum gibt es kein „favourite project“. Ich habe Hunderte von Projekten, über die ich sage: Die sind gut geworden, zu denen können wir stehen. Zu den Wiener Gasometern bekomme ich seit zwanzig Jahren einmal im Monat Anfragen aus Japan, China, Amerika, aus der ganzen Welt. Ich sage immer: Denkmalpflege ist es sicherlich nicht, was wir da gemacht haben, aber es funktioniert. Vor einigen Jahren klopft mir ein Herr am Flughafen auf die Schulter und fragt: „Sind Sie nicht der Professor Wehdorn?“ Ich bejahe und er sagt: „Wissen Sie, wir wohnen in Ihrem Gasometer und ich wollte Ihnen schon lange sagen, wie stolz ich darauf bin.“ Wenn Sie das erreichen, dann haben Sie gute Arbeit geleistet. Darum geht es mir: Ich baue mir selbst keine Denkmäler, sondern frage mich, was braucht der Mensch, der drinnen wohnt, damit er gerne dort wohnt – und darauf reagiere ich. Die Zufriedenheit merken wir auch daran, dass es in den Gasometern fast keinen Bewohnerwechsel gibt.
EUGEN OTTO:
Das Verharren in alten Wohnstrukturen ist in Österreich sehr stark ausgeprägt. In anderen Ländern wohnen die Menschen immer dort, wo sie ihren aktuellen Lebensfokus haben.
MANFRED WEHDORN:
Es ist unglaublich, wie oft etwa in Holland im Durchschnitt die Häuser gewechselt werden. Und zu uns kommen die Leute und sagen so nebenbei: „Wissen Sie, ich baue nur einmal in meinem Leben.“
EUGEN OTTO:
Das mit dem Bauen ist auch eine schwierige Sache. Es kann vieles schiefgehen und auf jeden Fall ist es mit hohen Kosten verbunden. Von der kaufmännischen Seite ist es oft gescheiter, in einem Altbau zu sein – so wie in Ihrem Bürogebäude.
MANFRED WEHDORN:
Der Nukleus dieses Hauses geht noch in die Barockzeit zurück. Im Biedermeier wurde es 1827 nach Plänen des damals vielbeschäftigen Architekten Peter Gerl für eine Hafenmeisterin ausgebaut. Aber zurück zu Ihrer Frage: Letztlich ist es die Entscheidung, wo ich lieber lebe – in einem Neu- oder in einem Altbau. Ich persönlich bin bei Ihnen und bevorzuge den Altbau, sozusagen „pflichtbewusst“.
EUGEN OTTO:
Die historischen Baumeister stützten sich auf jahrhundertealte Traditionen. Gibt es irgendwelche guten Beispiele, die man sich von ihnen abschauen kann?
MANFRED WEHDORN:
Natürlich. Ich glaube, das Geheimnis, warum mehr Leute gerne in alten Objekten wohnen, ist ganz einfach. Sie brauchen sich nur in diesem Büro umschauen: Ein Meter dicke Wände schaffen nicht nur bauphysikalisch, sondern auch mental ein Gefühl der Geborgenheit. Im Gegensatz zu einem gläsernen Büro, wo dann drinnen immer Vorhänge hängen. Dass dicke Mauern thermisch hervorragende Qualitäten haben, das wissen wir in der Zwischenzeit. Neben der Geborgenheit ist es der Zuschnitt der Räume, der überzeugt. Dabei geht es nicht so sehr um die Größe, sondern um die Form. Bei den meisten Altbauten, die heute wirklich genutzt werden, ist der Zuschnitt der rechteckigen Räume einfach klug und zielführend, er bietet beste Möglichkeiten der Möblierung. In solchen älteren Häusern gibt es keine „Schläuche“, wie es sie gerade im 19. Jahrhundert oft gegeben hat, als das Mietshaus zum Spekulationsobjekt wurde und möglichst viel unterzubringen war. Diese Einstellung gibt es manchmal auch heute noch. Es ist zweifellos eines unserer Probleme am heutigen Wohnungsmarkt, dass man nicht so viele Zimmer unterbringt, wenn man die Altbau-Qualität der Großzügigkeit übernehmen will. Jeder Architekt kann in einem Neubau auf 100 m² drei Schlafzimmer mit allem Drum und Dran unterbringen, auch wenn sie klein sind. Wenn ich im historischen Bau den Raumzuschnitt verändere, verliert die Wohnung und damit das gesamte Haus an Qualität.
EUGEN OTTO:
Das heißt, die Persönlichkeit des Gebäudes wird nicht nur vom Äußeren ausgemacht, sondern auch vom Inneren. Nur die Fassade zu erhalten und dahinter alles neu zu machen, ist daher...
MANFRED WEHDORN:
... ein totaler Unfug. Ich bin aber bekannt dafür, dass ich immer wieder feststelle: Nur weil etwas alt ist, muss man es nicht erhalten. Das kann nicht das Hauptkriterium sein. Es hat auch im Barock schlechte Qualität gegeben und im 19. Jahrhundert sowieso. Qualität ist so wie bei einem Neubau die oberste Richtlinie – Qualität, Funktionalität und alles, was dazugehört.
EUGEN OTTO:
Vom alten Hochholzerhof in der Tuchlauben steht nur noch die Barock-Fassade, dahinter wurde alles neu gemacht. Anders ist man am Schwarzenbergplatz 3 vorgegangen, dort wurde eine historisierende Fassade neu errichtet.
MANFRED WEHDORN:
Ich glaube, das war der letzte Bau, der mit einer Rekonstruktion gespielt hat. Vor allem im öffentlichen Bau ist diese Zeit vorbei. Das wäre heute nicht mehr möglich. Auch international ist die Rekonstruktion bezeichnenderweise keine Methode der Denkmalpflege. Man kann höchstens im Sinne einer Ergänzung Teile rekonstruieren, wenn es um das große Ganze geht.