Klimaökonom Gernot Wagner im Interview – Stadtleben statt Suburbia: Gut Wohnen rettet das Klima

Klimaökonom Gernot Wagner – Stadtleben statt Suburbia: Gut Wohnen rettet das Klima

Klimaökonom Gernot Wagner im Interview – Stadtleben statt Suburbia: Gut Wohnen rettet das Klima

Klimaökonom Gernot Wagner über Urbanisierung, gute Immobilieninvestitionen und Klimakiller.

Interview Petra Percher // Fotos: UBM Development, Jordan Graham/Brandstätter Verlag, Christian Steinbrenner

Wie es sich zu viert auf 70 Quadratmeter wohnt, warum das Stadtleben viel nachhaltiger ist als das Leben im Speckgürtel und welche Probleme der Traum vom Einfamilienhaus macht: Ein Gespräch mit Klimaökonom Gernot Wagner.

Woran forscht ein Klimaökonom? Und warum ist das Wohnen so ein wichtiges Thema in dem Fach?

Bis vor Kurzem war mein Fach ein Oximoron – man musste sich entscheiden, entweder Klima oder Wirtschaft. Dabei geht es darum, Wirtschaftsströme im Sinne des Klimas in die richtige Richtung zu lenken. Die Entscheidung, wie wir wohnen, wirkt so extrem langfristig, daher ist sie so bedeutend.

Was hat Sie motiviert, das Buch „Stadt, Land, Klima“ zu schreiben?

Unser persönlicher Beitrag zur Klimakrise hat mich schon immer beschäftigt. Wir fragen uns, ob wir auf Fleisch verzichten oder das Auto stehen lassen. Aber mit der Entscheidung, wo und wie wir wohnen, befassen wir uns kaum. Weil sie einfach als zu groß wahrgenommen wird. Was ich esse, entscheide ich dreimal am Tag, also 21-mal in der Woche und es hat vergleichbar wenig Effekt. Die Frage, wohin ich ziehe, überlege ich mir vielleicht sogar nur einmal im Leben und hat so große Auswirkungen.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft – wie werden wir in Österreich 2030 wohnen?

Um einiges effizienter. Der globale Trend zur Urbanisierung geht weiter, darauf hat die kurze Landflucht in der Pandemie keine Auswirkungen. In Österreich heißt das leider oft vom kleinen Ort im Waldviertel weg, aber dann nicht ganz in die Stadt, sondern Richtung Stadt in den Speckgürtel. Mit neuer Bodenversiegelung im Tullnerfeld zum Beispiel und mehr Pendlerverkehr. Damit sind wir beim großen Klimaproblem.

Wien baut aber auch neue Viertel – reicht das nicht aus?

Es wäre schön, wenn das neue Nordbahnviertel oder die Seestadt Aspern nicht nur Experimente sind, sondern tatsächlich in die richtige Richtung weisen. Das Quartier A in Amstetten ist auch ein gutes Beispiel. Da hat die Stadt 78.000 Quadratmeter ÖBB-Areal gekauft und entwickelt jetzt ein Mixed-Use-Grätzl. Jede Entscheidung, die wir heute treffen, ist wegweisend, wie wir in Zukunft leben werden. Leider auch Aussagen wie die der niederösterreichischen Landeshauptfrau, die noch immer von mehr Einfamilienhäusern spricht.

Was ist so falsch am Traum vom Einfamilienhaus?

In Österreich gibt es mittlerweile genug Ein- und Zweifamilienhäuser. So viele, dass alle, die in Österreich leben, zu viert in eben diesen wohnen könnten. Dementsprechend vorangeschritten ist die Bodenversiegelung. Natürlich stehen viele dieser Ein- und Zweifamilienhäuser fast oder mittlerweile gänzlich leer. Trotzdem wird immer noch weiter gebaut.

Heißt das, es braucht keine neugebauten Einfamilienhäuser?

Zersiedelung ist nicht nur ein österreichisches Phänomen, aber hier schreitet der Flächenverbrauch doch um einiges rasanter voran. Es gibt Orte im Waldviertel, wo der Ortskern leer steht, der gesamte Ort im Prinzip stirbt, weil er die Dorferneuerung verpasst hat und anderswo genug Häuser gebaut werden. Viele Regelungen weisen in die falsche Richtung. Ein Beispiel eines fast rein österreichischen Phänomens: Die Kompetenz für die Umwidmung von Agrarflächen liegt beim Bürgermeister, der aber gleichzeitig die Kommunalsteuer verwaltet, somit ein Interesse an der Umwidmung hat. Dabei ist Österreich einmalig.

Was noch lenkt uns in die falsche Richtung?

Geförderte Bausparverträge werben immer noch damit, dass das Glück darin besteht, ein eigenes Heim zu bauen. Und so bekommt man alle sechs Jahre einen neuen Vertrag und wenn mit 18 nach der Matura oder mit 24 dann der vierte abläuft, wird ein Haus ins Tullnerfeld gestellt. In der Stadt wiederum gilt immer noch der Nachfolger der Reichsgaragenverordnung aus dem Jahr 1939! Bei Neu- und Zubauten muss je 100 Quadratmeter ein Stellplatz geschaffen werden. So lautet die Stellplatzverpflichtung im Wiener Garagengesetz. Mit diesem quasi Recht auf Parkplatz folgt natürlich gern oft das Auto. Zusammen mit den vielen Faktoren, die auf den „Traum“ Einfamilienhaus zeigen, und ihn geradezu fördern, kann ich mir eine Trendumkehr nicht leicht vorstellen.

 
Wien Stadtverdichtung Nordbahnviertel

STADTVERDICHTUNG. Bis heute sind die Wohnungen im 1. Bezirk größer als in anderen Bezirken. Je stärker Wien gewachsen ist, desto kleiner wurden die Wohnungen ringsum. Den Trend zum effizienten Stadtleben gab es in Wien schon immer.

NEUE STADTVIERTEL. Städte sollen wachsen, der Speck­gürtel nicht, lautet die Devise des Klimaökonomen. Wien wächst!
Das Nordbahnviertel im 2. Bezirk ist das größte innerstädtische Entwicklungsgebiet.

Wie steht Wien beim klimafreundlichen Wohnen im internationalen Vergleich da?

Natürlich gibt es Siedlungen und Villen, aber schon die Gründerzeithäuser waren zur Verdichtung vorgesehen. In den USA gibt es das Phänomen, dass es ganze Städte gibt, in denen es immer noch illegal ist, einen zweiten Stock auf ein Haus zu setzen. Man muss dort ein Einfamilienhaus bauen. Wien steht auch bei den öffentlichen Verkehrsmitteln im internationalen Vergleich gut da. Deshalb gibt es in der Hauptstadt auch nur halb so viele Autos pro Kopf wie in manchen Bundesländern, nämlich 375 auf 1.000 Einwohner*innen. Tendenz fallend. Im Rest des Landes: mehr als 650, Tendenz steigend.

Welchen Trend sehen Sie bei den Wohnungsgrößen?

Früher, als die Stadt mit dem 1. Bezirk deckungsgleich war, sind nur die Reichen in die Stadt gezogen. Bis heute sind die Wohnungen hier im Schnitt um einiges größer als in anderen Bezirken. Je stärker Wien gewachsen ist, desto kleiner wurden die Wohnungen ringsum. Den Trend zum effizienten Stadtleben hat es im Prinzip immer schon gegeben, was natürlich fantastisch ist.

Frage an den Ökonomen: Welche Wohnimmobilien sollte man jetzt kaufen, wenn man das Klima schützen und das Geld gut anlegen will?

Bei Investitionen geht es ja immer ums Potenzial. Der höchst effiziente Neubau ist jetzt schon dementsprechend teuer. Umgekehrt ist der etwas löchrige, ineffiziente Altbau in Relation billiger. Warum? Weil die Isolierung, die Wärmepumpe, die Solaranlage viel kosten. In zehn Jahren wird das alles viel billiger sein. Wir klettern die Lernkurve hinauf und rutschen die Kostenkurve hinunter. Derzeit ist es tatsächlich noch schwierig, eine Altbauwohnung in Wien höchst effizient zu gestalten, die Gasleitung abzudrehen und die Wärmepumpe zu installieren. Da gibt es ziemlich viele Hürden. Aber es arbeiten sehr, sehr viele Menschen hart daran, die damit verbundene Bürokratie zu minimieren und die Kosten zu subventionieren. Deshalb würde ich jetzt lieber in eine Altbauwohnung investieren, die weniger kostet, weil sie ineffizient ist. In naher Zukunft würde ich in die Sanierung investieren, die im Endeffekt nur billiger werden kann. Solarenergie zum Beispiel war vor zehn Jahren zehnmal, vor 40 Jahren hundertmal so teuer.

Wenige Quadratmeter in der Stadt oder viele Quadratmeter im Speckgürtel – können Sie bei der Entscheidung helfen?

Viele sagen einfach: In der Stadt ist es ja so unmöglich teuer. Deshalb muss ich aufs Land oder an den Speckgürtel ziehen. Aber das ist eine zynische Ausrede. Die Frage eines Ökonomen wäre: Warum ist der Quadratmeter in der Stadt so teuer? Weil viele dort wohnen möchten. Angebot, Nachfrage. De facto muss jeder und jede für sich entscheiden, ob sie sich lieber 70 Quadratmeter in der Stadt leisten oder um den gleichen Preis 140 Quadratmeter im Tullnerfeld.

Ich nehme an, Sie entscheiden sich für die kleine Wohnung im Zentrum ...

Klar, schließlich geht es nicht um das Maximieren von Quadratmetern, sondern um das Optimieren der gesamten Lebenssituation. Ich würde mir die Frage stellen: Wohne ich lieber auf weniger Quadratmetern im Nordbahnviertel mitten in Wien, wo ich mit Öffis oder Fahrrad blitzschnell überall hinkomme? Oder richte ich mir mein Leben jetzt so ein, dass ich die nächsten vierzig, fünfzig Jahre tagtäglich zumindest einmal mit dem Auto fahren muss, weil ich sonst zu Hause im Speckgürtel feststecke? Bei der Entscheidung geht es stark um die Lebenseinstellung. Ich sehe in den neu entwickelten Stadtvierteln viele Vorteile. Zum Beispiel in einer Wohnung zu wohnen, wo der Dachgarten, den ich ohnehin nur dreimal im Jahr verwende, inklusive ist, ohne, dass ich mich darum kümmern muss. Dass der Bäcker im gleichen Haus und der Kindergarten in der Straße gegenüber ist. Und dass die Achtjährige von der nahen Schule alleine nach Hause geht und dann als Sechzehnjährige leicht mit Freund*innen unterwegs sein kann. Seit Jahrzehnten wurde uns über Werbung eingetrichtert, dass Autofahren Freiheit und der eigene Garten das wirkliche Lebensglück bedeutet. Die neue Generation sieht das glücklicherweise nicht mehr so. In Zukunft wird es noch stärker um die Frage gehen, wie man die Lebenseinstellung im Sinne von Klimaschutz, Effizienz und Naturschutz forcieren kann.

 

Gernot Wagner fragte sich: „Was kann ich tun, um das Klima zu retten?“

WOHNEXPERIMENT. Gernot Wagner fragte sich: „Was kann ich tun, um das Klima zu retten?“
Jetzt wohnt er mit seiner Frau und zwei Kindern auf 70 Quadratmetern in New York. Effizienter geht es kaum.

Sie promoten Wohnen auf kleinstem Raum im Stadtzentrum. Sogar die New York Times hat darüber geschrieben. Was ist so ungewöhnlich daran?

Wir haben unbewusst experimentiert. Zu viert in einer großen Wohnung haben wir die meiste Zeit in der 20 Quadratmeter großen Küche verbracht. Jetzt wohnen wir halb so groß in einem 70-Quadratmeter-Loft und nutzen den gesamten Raum. Wir haben damit eine 70 Quadratmeter große Küche, ein 70 Quadratmeter großes Esszimmer, ein 70 Quadratmeter großes Kinderzimmer und ein 70 Quadratmeter großes Arbeitszimmer. Nichts ist abgetrennt. Das geht leicht inmitten der Stadt. Natürlich muss man sich als Familie auch erst mal mögen. Dann gibt es auch zig Vorteile. Die Kinder etwa brauchen keinen Garten mit Plastik-Klettergerüst, weil es innerhalb von 15 Minuten drei Spielplätze gibt. Wir brauchen keinen Pool, da gibt’s drei Bäder in unmittelbarer Nähe, einschließlich einem öffentlichen, keine Waschmaschine, weil die Putzerei ums Eck ist. Stadtleben eben.

Warum sollte ein Landmensch in die Stadt ziehen?

Mir geht es vor allem um das Dazwischen. Darum, den Speckgürtel nicht als Land zu deklarieren oder als Stadt misszuverstehen. Suburbia ist weder das eine noch das andere. Deshalb sagen Stadtmenschen, sie ziehen aufs Land hinaus und meinen Mödling. Oder umgekehrt: Menschen wollen in die Stadt ziehen, siedeln sich aber im Tullnerfeld an. Und nein, man muss nicht in der großen Stadt wohnen. Es gibt genug kleine Orte, wo man ohne Auto wohnen und produktiv sein kann. Die Einstellung zum effizienten, kompakten, klimaschonenden, produktiven Stadtmenschen hängt nicht von einem Ort ab.

Sie verstehen Ihr Buch als Liebeserklärung an die Stadt. Wo Menschen fitter und gesünder, wo Diversität innovativ macht. Wie definieren Sie den Unterschied zum Landleben?

In der Stadt gibt es ringsum Möglichkeiten, viele Menschen, Diversität. Wir wohnen auf engem Raum, wir sehen uns alle. Natürlich kann man in der Stadt auch vereinsamen, aber das muss man aktiv wählen. Ganz dezidiert nicht Hallo sagen, sich verstecken. Umgekehrt gibt es im wirklichen Landleben genau dasselbe. Das Netzwerk ist kleiner. Aber alle wissen, wo der Schuster wohnt, wann Bauernmarkt ist und wer zum Frühschoppen geht. Auch da ist das wirkliche Problem wieder das Dazwischen, also der Speckgürtel. Den gibt es ja nicht nur rund um Wien, sondern in jedem Tiroler Tal. Da ist oben der kleine Ort mit dem Moser-Hof, mit Geschichte, mit den Vorfahren. Aber die meisten wohnen unten im Tal, im Einfamilienhaus irgendwo zwischen Ort und Autobahnauffahrt. Jeder hat seinen eigenen Garten, seinen eigenen Pool, man trifft sich weder am Spielplatz noch im Freibad. Höchstens am Samstagvormittag im Supermarkt. Immerhin ist der Parkplatz davor so groß, dass alle gleichzeitig hinfahren können.

Aber gleichzeitig wächst auch Wien ...

In Wien wohnen heute 400.000 Menschen mehr als noch vor 30 Jahren. Das entspricht der Einwohnerzahl der zweitgrößten Stadt in Österreich, Graz. Und die meisten leben in Wohnungen. Toll! Positive Netzwerkeffekte und die vielfältigen Möglichkeiten ziehen natürlich noch mehr Leute an. Gleichzeitig wachsen aber auch die Einfamilienhaus-Ansammlungen in Suburbia. Städte sollen wachsen, der Speckgürtel nicht.

Wie könnte eine radikale Systemveränderung aussehen?

Dieser Traum vom Einfamilienhaus, das mit den eigenen zwei Händen selbst gebaut wurde – oder bei dem ich zumindest dirigieren durfte, wohin die Fertig-Bauteile kommen – dieser Traum muss sich tatsächlich verändern. Aus der Sicht meiner Schulkolleg*innen, die mit mir 1998 in Amstetten maturiert haben, und von denen die meisten in Einfamilienhäusern im Speckgürtel wohnen, wäre die Veränderung radikal. Für die jüngeren Millenials oder die Gen Z aber weniger. Die zieht es eher in eine Stadtwohnung. Tatsache ist: In Österreich wird immer noch alle zehn Jahre die Fläche Wiens verbaut. Das Resultat: Es gibt hier doppelt so viele Straßenkilometer pro Person wie in Deutschland oder der Schweiz. Katastrophal! Die Vision fehlt. Wann hat das ein Ende?

Wäre eine Obergrenze an Zersiedelung eine erste Utopie?

Ja! Natürlich klingt eine Obergrenze erstmals sehr radikal. Aber wie sieht es aus, wenn wir so weitermachen wie jetzt?

Wie schaut Ihre Vision aus – wie wohnen wir in den nächsten Jahren?

Es geht um die Frage: Wer traut sich zu sagen, dass in unserem Ort kein Einfamilienhaus mehr gebaut wird? Ein Grüner Politiker aus Hamburg hat letztes Jahr laut ausgesprochen, dass keine Einfamilienhäuser mehr gebaut werden können. Im Wahlkampf wurde daraus die Verbotspartei, die den deutschen Traum vom Einfamilienhaus abschaffen will. Dann haben auch andere, konservative Regionalpolitiker zugestimmt mit dem Argument, es gehe sich einfach platzmäßig nicht mehr aus. Besser Wohnungen in der Stadtmitte und Park und Wald retten, anstatt zu roden. Die Veränderung startet bereits. Wie kann man zum Beispiel den Ortskern in meiner Heimatstadt Amstetten attraktiver machen als den Neubau draußen im Speckgürtel Amstettens. Tatsächlich bedeutet diese Zukunftsvision, dass es im Prinzip keine neuen Einfamilienhaus-Siedlungen mehr geben darf. Aber wie schwenken wir um? Und was passiert mit bestehenden Einfamilienhaus-Siedlungen? Am Ende ist mein Buch ein Liebesbrief an die Stadt, klar. Aber es ist auch einer ans Land, an das wirkliche Land eben.
 

Stadt Land Klima von Gernot Wagner

ℹ️ BUCHTIPP: Gernot Wagner, STADT, LAND, KLIMA

Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten. Mit alltagstauglichen, persönlichen und überraschenden Lösungen für ein klimafreundliches Leben.

200 Seiten, 22 Euro, Brandstätter Verlag.




 

#Wien - Wohnmarktmagazin, Ausgabe 2022

Diesen Beitrag haben wir unserem aktuellen #Wien - dem Wohnmarktmagazin von OTTO Immobilien entnommen:

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