WOHNEXPERIMENT. Gernot Wagner fragte sich: „Was kann ich tun, um das Klima zu retten?“
Jetzt wohnt er mit seiner Frau und zwei Kindern auf 70 Quadratmetern in New York. Effizienter geht es kaum.
Sie promoten Wohnen auf kleinstem Raum im Stadtzentrum. Sogar die New York Times hat darüber geschrieben. Was ist so ungewöhnlich daran?
Wir haben unbewusst experimentiert. Zu viert in einer großen Wohnung haben wir die meiste Zeit in der 20 Quadratmeter großen Küche verbracht. Jetzt wohnen wir halb so groß in einem 70-Quadratmeter-Loft und nutzen den gesamten Raum. Wir haben damit eine 70 Quadratmeter große Küche, ein 70 Quadratmeter großes Esszimmer, ein 70 Quadratmeter großes Kinderzimmer und ein 70 Quadratmeter großes Arbeitszimmer. Nichts ist abgetrennt. Das geht leicht inmitten der Stadt. Natürlich muss man sich als Familie auch erst mal mögen. Dann gibt es auch zig Vorteile. Die Kinder etwa brauchen keinen Garten mit Plastik-Klettergerüst, weil es innerhalb von 15 Minuten drei Spielplätze gibt. Wir brauchen keinen Pool, da gibt’s drei Bäder in unmittelbarer Nähe, einschließlich einem öffentlichen, keine Waschmaschine, weil die Putzerei ums Eck ist. Stadtleben eben.
Warum sollte ein Landmensch in die Stadt ziehen?
Mir geht es vor allem um das Dazwischen. Darum, den Speckgürtel nicht als Land zu deklarieren oder als Stadt misszuverstehen. Suburbia ist weder das eine noch das andere. Deshalb sagen Stadtmenschen, sie ziehen aufs Land hinaus und meinen Mödling. Oder umgekehrt: Menschen wollen in die Stadt ziehen, siedeln sich aber im Tullnerfeld an. Und nein, man muss nicht in der großen Stadt wohnen. Es gibt genug kleine Orte, wo man ohne Auto wohnen und produktiv sein kann. Die Einstellung zum effizienten, kompakten, klimaschonenden, produktiven Stadtmenschen hängt nicht von einem Ort ab.
Sie verstehen Ihr Buch als Liebeserklärung an die Stadt. Wo Menschen fitter und gesünder, wo Diversität innovativ macht. Wie definieren Sie den Unterschied zum Landleben?
In der Stadt gibt es ringsum Möglichkeiten, viele Menschen, Diversität. Wir wohnen auf engem Raum, wir sehen uns alle. Natürlich kann man in der Stadt auch vereinsamen, aber das muss man aktiv wählen. Ganz dezidiert nicht Hallo sagen, sich verstecken. Umgekehrt gibt es im wirklichen Landleben genau dasselbe. Das Netzwerk ist kleiner. Aber alle wissen, wo der Schuster wohnt, wann Bauernmarkt ist und wer zum Frühschoppen geht. Auch da ist das wirkliche Problem wieder das Dazwischen, also der Speckgürtel. Den gibt es ja nicht nur rund um Wien, sondern in jedem Tiroler Tal. Da ist oben der kleine Ort mit dem Moser-Hof, mit Geschichte, mit den Vorfahren. Aber die meisten wohnen unten im Tal, im Einfamilienhaus irgendwo zwischen Ort und Autobahnauffahrt. Jeder hat seinen eigenen Garten, seinen eigenen Pool, man trifft sich weder am Spielplatz noch im Freibad. Höchstens am Samstagvormittag im Supermarkt. Immerhin ist der Parkplatz davor so groß, dass alle gleichzeitig hinfahren können.
Aber gleichzeitig wächst auch Wien ...
In Wien wohnen heute 400.000 Menschen mehr als noch vor 30 Jahren. Das entspricht der Einwohnerzahl der zweitgrößten Stadt in Österreich, Graz. Und die meisten leben in Wohnungen. Toll! Positive Netzwerkeffekte und die vielfältigen Möglichkeiten ziehen natürlich noch mehr Leute an. Gleichzeitig wachsen aber auch die Einfamilienhaus-Ansammlungen in Suburbia. Städte sollen wachsen, der Speckgürtel nicht.
Wie könnte eine radikale Systemveränderung aussehen?
Dieser Traum vom Einfamilienhaus, das mit den eigenen zwei Händen selbst gebaut wurde – oder bei dem ich zumindest dirigieren durfte, wohin die Fertig-Bauteile kommen – dieser Traum muss sich tatsächlich verändern. Aus der Sicht meiner Schulkolleg*innen, die mit mir 1998 in Amstetten maturiert haben, und von denen die meisten in Einfamilienhäusern im Speckgürtel wohnen, wäre die Veränderung radikal. Für die jüngeren Millenials oder die Gen Z aber weniger. Die zieht es eher in eine Stadtwohnung. Tatsache ist: In Österreich wird immer noch alle zehn Jahre die Fläche Wiens verbaut. Das Resultat: Es gibt hier doppelt so viele Straßenkilometer pro Person wie in Deutschland oder der Schweiz. Katastrophal! Die Vision fehlt. Wann hat das ein Ende?
Wäre eine Obergrenze an Zersiedelung eine erste Utopie?
Ja! Natürlich klingt eine Obergrenze erstmals sehr radikal. Aber wie sieht es aus, wenn wir so weitermachen wie jetzt?
Wie schaut Ihre Vision aus – wie wohnen wir in den nächsten Jahren?
Es geht um die Frage: Wer traut sich zu sagen, dass in unserem Ort kein Einfamilienhaus mehr gebaut wird? Ein Grüner Politiker aus Hamburg hat letztes Jahr laut ausgesprochen, dass keine Einfamilienhäuser mehr gebaut werden können. Im Wahlkampf wurde daraus die Verbotspartei, die den deutschen Traum vom Einfamilienhaus abschaffen will. Dann haben auch andere, konservative Regionalpolitiker zugestimmt mit dem Argument, es gehe sich einfach platzmäßig nicht mehr aus. Besser Wohnungen in der Stadtmitte und Park und Wald retten, anstatt zu roden. Die Veränderung startet bereits. Wie kann man zum Beispiel den Ortskern in meiner Heimatstadt Amstetten attraktiver machen als den Neubau draußen im Speckgürtel Amstettens. Tatsächlich bedeutet diese Zukunftsvision, dass es im Prinzip keine neuen Einfamilienhaus-Siedlungen mehr geben darf. Aber wie schwenken wir um? Und was passiert mit bestehenden Einfamilienhaus-Siedlungen? Am Ende ist mein Buch ein Liebesbrief an die Stadt, klar. Aber es ist auch einer ans Land, an das wirkliche Land eben.