FORUM #WIEN 2030 – Der Blick in die Zukunft

#Wien 2030 Forum Ausblick

FORUM #WIEN 2030 – Der Blick in die Zukunft

Was Meinungsführer*innen über die Zukunft der Stadt denken. Fakten, Trends, Visionen und Utopien zeigen, wohin die Reise Wiens 2030 geht. Stadtentwicklung, Bildung, Innovation, Wirtschaftskraft, Digitales, Gesundheit, Nachhaltigkeit – wichtige Themen für die Zukunft der Stadt. Im Rahmen des Forum Wien #2030 von OTTO Immobilien tauschen Expert*innen aus Wirtschaft und Wissenschaft ihre Gedanken, Meinungen und Erfahrungen zum Thema „Wien 2030“ aus. Unterschiedliche Standpunkte aus der Sicht der Meinungsführer*innen, die ja gleichzeitig auch Bewohnerinnen und Konsumenten sind, veranschaulichen die größten Chancen und Herausforderungen der wachsenden Metropole Wien.

Es diskutieren:

◻️ SABINE MÜLLER ist Chief Innovation & Marketing Officer bei Value One. Sie betreut und entwickelt alle Marken der Gruppe und verantwortet den Bereich Innovation & Trends. Zu ihren größten Erfolgen gehört das mehrmals preisgekrönte Stadtentwicklungsprojekt Viertel Zwei im 2. Wiener Gemeindebezirk und die Entwicklung der ersten privaten Studentenapartments in Österreich.

◻️ THERESA FINK ist Forscherin am AIT Austrian Institute of Technology für neue Ansätze der digitalen, parametrischen Stadtplanung. Ihre Expertise liegt im Bereich urbaner Analysen und interaktiven Planungs- und Visualisierungsmethoden der nachhaltigen Stadtentwicklung.

◻️ EUGEN OTTO ist geschäftsführender Gesellschafter der OTTO Immobilien GmbH. Das Unternehmen hat aktuell 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und gehört damit zu den größten privaten, unabhängigen und vom Eigentümer geführten Immobilienberatern des Landes.

◻️ FRANZ SCHELLHORN leitet seit Februar 2013 den in Wien ansässigen Think Tank Agenda Austria, der sich mit relevanten wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigt. Nach dem Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien heuerte er bei der Tageszeitung „Die Presse“ an, für die er 15 Jahre lang arbeitete. Von 2004 bis 2013 leitete Franz Schellhorn das Wirtschaftsressort der „Presse“, ab dem Jahr 2011 fungierte er zudem als Mitglied der Chefredaktion.

◻️ MARKUS MÜLLER ist Professor für Innere Medizin und klinische Pharmakologie. Seit 2015 ist er Rektor der Medizinischen Universität Wien, 2018 wurde er auch zum Präsidenten des Obersten Sanitätsrates gewählt. Er hat etwa 200 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht, unter anderem im New England Journal of Medicine.

◻️ Moderation: Eva Komarek – General Editor for Trend Topics, Styria Media Group
◻️ Dokumentation: Robert Kropf
◻️ Fotos: Chris Steinbrenner


Eva Komarek, Moderatorin:
Wenn Sie für uns einen Blick in Ihre Glaskugel werfen: Was sind denn aktuell die größten Herausforderungen und Veränderungen, mit denen Sie und Ihre Branchen konfrontiert sind?

Sabine Müller: 
Das ist der Green Deal der EU – die Antwort der EU auf die Klimakrise. Stichwort ESG – Environment Social Governance. Es geht darum, dass sich nachhaltiges Handeln in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmenskultur zukünftig im Unternehmenswert und im Wert der Immobilie niederschlägt. Hab ich ein gutes Ranking, ist meine Immobilie mehr wert. Hab ich ein schlechtes, fällt der Wert. Es ist sehr weise von der EU, mit neuen Regeln (EU-Taxonomie) die Geldströme zu lenken. Denn wenn man als Immobilienentwickler per se nicht klimasensibel plant und handelt, wird man nun gezwungen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen. So wie sich gerade alle größeren Unternehmen in der Immobilienbranche damit beschäftigen – Banken, Investoren, institutionelle Käuferinnen. Große Investmentfonds haben derzeit noch nicht viele EU-Taxonomie-Gebäude im Portfolio und suchen derzeit spürbar Leuchtturmprojekte im Bereich Nachhaltigkeit.

Zweitens: Die digitale Transformation ist in der Baubranche angekommen. Spät aber doch. Die Planung wird digitaler, es gibt neue Bauverfahren, es geht in Richtung automatisiertes Bauen, Vorfertigungen werden wichtig. Das spart Zeit und schon die Umwelt.

Die dritte Veränderung: Die vernetzte Immobilie, die mehr Komfort bietet, weniger Energie verbraucht, weniger CO2 produziert. Last but not least: der demographische Wandel. 2040 wird in Europa mehr als die Hälfte der Bevölkerung über 50 sein und wir leben länger. Das fordert neue Wohn- und Nutzkonzepte, Stichwort Ambient Assisted Living, die wir jetzt schon mitdenken müssen, wenn wir nachhaltig entwickeln wollen.

Theresa Fink:
Die disruptive Veränderung durch die Digitalisierung zeigt in der Stadtentwicklung auch positive Effekte: Wir können die Stadt- und Gebäudeplanungen viel genauer berechnen, simulieren, analysieren und auch visualisieren. Und somit auch die Effekte von Entscheidungen aufzeigen und kommunizieren. Wir arbeiten am AIT im City Intelligence Lab mit digital dargestellten, faktenbasierten Szenarien und Planungsmodellen, in denen wir die Themen Energie, Klima und Mobilität optimal integrieren. In diese Modelle rechnen wir alles mit ein: Energieverbrauch von Immobilien, Erreichbarkeiten – wie nahe liegen sie zum öffentlichen Verkehr, zur Infrastruktur der täglichen Versorgung – und auch den thermischen Komfort im Freiraum. Stichwort 15-Minuten-Stadt: Wie gut versorgt ist ein Gebäude oder ein Quartier, welches Potenzial haben Flächen? Woran wir früher tagelang gezeichnet und gerechnet hätten, schaffen wir jetzt unter Einsatz intelligenter Algorithmen in wenigen Minuten. Eine gute Grundlage bilden frei verfügbare Daten in guter Qualität – Open Data – Wien ist hier sehr gut aufgestellt.

Eugen Otto:
In der nahen Zukunft beschäftigen wir uns mit der nachhaltigen Verwaltung von Immobilien. Die Herausforderung in der Stadt ist: Wie kann ich im eng verbauten Gebiet den Kriterien der Nachhaltigkeit entsprechend und abhängig von den neuen fixen Regeln der EU, sprich ESG, zukunftsorientiert umbauen. Wie können wir das Klima in Gebäuden, die Heizung, die Kühlung verändern. Es ist gar nicht so leicht, Expert*innen zu finden, die solche Projekte schon umgesetzt haben und eine Credibility List haben, dass das schon funktioniert.

Deshalb ist es auch wichtig, dass Dienstleister*innen dieses ESG-Verfahren moderieren, begleiten, beraten. Da entsteht gerade eine Industrie, die diese Prozesse unterstützt. Deswegen wird ESG an Tempo zunehmen. Wenn die ESG-Dokumentation gut ist, wird jeder Investor sagen: In ein ganz grünes Gebäude investiere ich mehr als in ein grau-grünes Gebäude.

Wir lernen hier auch viel von Gründerzeithäusern. Sie sind die nachhaltigste Gebäudeform nach der Höhle. Warum? Die Öko-Bilanz ist gut, weil sie schon 150 bis 200 Jahre alt sind. Viele dieser Zinshäuser wurden als kleine Einzelwohnungen, als Arbeiterunterkünfte um den Ring und Gürtel gebaut. Sie wurden mehrfach umgebaut, vergrößert, wieder verkleinert. Als Büro, Werkstätten, Ordinationen wiederverwendet. Es gab immer Nachverdichtungen nach oben, es wurden Stockwerke dazu gebaut. Potenzial gab es immer, etwa die Dachböden auszubauen. Das war die Verdichtung nach oben in den letzten 30 Jahren. Nachhaltiger geht’s nicht mehr. Wenn man hier heute die richtigen Maßnahmen setzt – Türen und Fenster gut dichtet – kriegt man nachhaltiges Wohnen schon sehr gut hin. Von den Zinshäusern können wir uns heute noch viel abschauen.
 

Eugen Otto und Theresa Fink im #Wien 2030 Forum

Immobilien-­Experte Eugen Otto, Expertin für digitale Stadtplanung Theresa Fink

Eva Komarek, Moderatorin:
Wie störend ist der Umstand, dass Immobilien teurer und teurer werden?

Eugen Otto:
Sehr störend, und wir brauchen Antworten darauf. Kleine Wohneinheiten mit großen, üppigen Gemeinschaftseinrichtungen gehen da in diese Richtung. Kleine Units machen das Wohnen leistbarer. Wohnkonzepte wie Serviced Living nehmen auch stark zu.

Franz Schellhorn:
Da muss ich einhaken: Das Beste, was man machen kann, ist die Kaufkraft der Bürger*innen zu stärken. Das ist längst überfällig. Wir leisten uns einen Höchststeuerstaat und wissen alle um die Möglichkeiten, hier günstiger zu werden. Wir leben in einem Land mit sehr, sehr hohen Steuern, die von der Arbeitsleistung nicht mehr viel übriglassen. Schon bei Durchschnittsverdiener*innen mit 3.300 Euro brutto gehen 47 Prozent der Arbeitskosten an den Staat. Da liegen nur noch Deutschland und Belgien darüber. Wir haben gemessen an den Arbeitskosten die drittniedrigsten Nettolöhne der EU.

Eva Komarek, Moderatorin:
Wie stark verändert die Digitalisierung Ihr Geschäft?

Eugen Otto:
Alles, was digitalisierbar und automatisierbar ist, wird digitalisiert und automatisiert. Auch in unserer Branche. Außer das Essen, Schlafen und Wohnen. Das wird man nicht ersetzen können. Wir haben dazu Innovation Agents im Unternehmen. Das sind super ausgebildete Expertinnen, die sich mit nichts anderem beschäftigen als mit der Digitalisierung der Immobilienbranche.

Eva Komarek, Moderatorin:
Wir werden alle älter, wir wollen alle gesünder älter werden. Wie beeinflusst das das Wohnen und Leben in der Stadt?

Sabine Müller:
Wir setzen uns gerade intensiv mit einem urbanen servicierten Wohnkonzepten für die „Neuen Alten“ auseinander, da spielt Ambient Assisted Living eine Rolle – also wie kann man unter anderem mit Digitalisierung alte Menschen unterstützen und ihnen im Alltag mehr Komfort und Lebensqualität bieten. Da hilft auch die Stadtplanung der kurzen Wege, wenn also alles Wesentliche im Umkreis von 15 Minuten erreichbar ist.

Markus Müller:
Das Programm der Medizin für die nächsten Jahrzehnte heißt Digitale Medizin. Der menschliche Organismus wird nicht mehr nur als Summe seiner Organe, Zellen oder Moleküle betrachtet, sondern auch als Datensatz. In den USA gibt es dazu einen interessanten Slogan: „Hospital without patients“. Ein Lösungsweg der digitalen Medizin wird es sein, Patienten möglichst fern von der Institution Krankenhaus zu versorgen. Patientinnen sollen in erster Linie direkt am eigenen Wohnort gut versorgt werden. Technische Tools und Apps werden dabei helfen.

Eva Komarek, Moderatorin:
Können Sie das mit einem Beispiel verdeutlichen?

Markus Müller:
Nehmen wir das Beispiel einer Mittelohrentzündung bei einem Kind. Sie werden ein Aufsatz-Tool für Ihr Mobiltelefon haben und damit das Trommelfell Ihres Kindes fotografieren. Das Foto senden Sie an den Kinderarzt. Er diagnostiziert und sendet ein Rezept gleich online an die Eltern oder die nächstgelegene Apotheke. Sie ersparen sich den Weg, Ambulanz- und Wartezeiten.

Sabine Müller und Markus Müller im #Wien Forum 2030

nachhaltige Stadtviertel­-Entwicklerin Sabine Müller, visionärer Uni­-Rektor Markus Müller

Eva Komarek, Moderatorin:
Wie werden dann Krankenhäuser 2030 aussehen?

Markus Müller:
Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft weiterhin so große Krankenhäuser wie das AKH sehen werden, vor allem weil ein Großteil der Medizin mittlerweile ambulant möglich ist. Eines unserer derzeit wichtigsten Bauprojekte ist das Eric Kandel Institut für Präzisionsmedizin als Wiener Leitprojekt. Das ist unter anderem auch ein Daten- und Rechenzentrum und nicht mehr ein medizinischer Bau im üblichen Sinn. Ich bin mir sehr sicher, dass Medizin und Gesundheit die Stadtentwicklung massiv beeinflussen werden. Schon alleine wegen der alternden Gesellschaft.

Eva Komarek, Moderatorin:
Wien ist Zentrum der Wirtschaft. Wo stehen wir, wenn wir die Veränderung und die Risiken betrachten?

Franz Schellhorn:
Wien hat mindestens zwei Gesichter, wenn nicht noch mehr. Wien ist die reichste Stadt in Österreich mit der höchsten Wertschöpfung pro Kopf. Wien hat aber gleichzeitig auch die höchste Arbeitslosigkeit in Österreich. Jede*r zweite Arbeitslose in Wien ist langzeitarbeitslos. Daher wird für Wien die größte Frage sein: Wie sichern wir in den nächsten 20, 30 Jahren den Wohlstand? Es sind immer dieselben Themen: Wie komme ich zu einer guten Schule für die Kinder? Wie komme ich zu einem guten Job und wie zu einem leistbaren Wohnraum? Diese Fragen gibt es in ganz Österreich, aber in Wien sind sie besonders drängend.

Eva Komarek, Moderatorin:
Also eine gute Schulbildung als Schlüssel für eine gute Zukunft?

Franz Schellhorn:
Jede*r fünfte Schüler*in in Wien geht in eine Privatschule. Wenn man sich das leisten kann, ist es super. Wenn nicht, muss man den Wohnort wechseln, um in einen „besseren“ Schulsprengel zu kommen. Wir dürfen nicht vergessen: 64 Prozent der Volksschüler*innen haben eine andere Umgangssprache als Deutsch. Das sind große Herausforderungen, denen die Stadt seit 20 Jahren nicht wirklich entschlossen begegnet.

Eva Komarek, Moderatorin:
Welche Lösungsansätze gibt es hier?

Franz Schellhorn:
Transparenz würde schon helfen. Nehmen wir als Beispiel die London Challenge der Labour Regierung im Jahr 2000. In England sind die Ergebnisse der Schulen bei Leistungstests öffentlich. Die Schulen mit den schlechtesten Ergebnissen waren in den Migrantenvierteln Londons. Sie bekamen mehr Geld, mussten aber innerhalb von fünf Jahren bessere Ergebnisse liefern, oder sie wurden geschlossen. Die Direktoren konnten sich die Lehrerinnen aussuchen, bekamen Hilfe von Unternehmensberatern. Und siehe da: Diese Schulen machten enorme Fortschritte und waren unter den öffentlichen Schulen bei den besten. Und sind es heute noch, obwohl das Programm 2008 beendet wurde.

Zurück zu Wien – eine der lebenswertesten Städte. Aber dennoch gehen Firmen wie Google mit 4.000 Mitarbeitern nach Zürich. Und da ist schon die Frage: Warum gehen die nach Zürich? Das liegt zum einen im Problem, dass es die Stadtpolitik nach wie vor so sieht, dass es eine Gnade ist, wenn man in Wien ein Unternehmen betreiben darf und wenn man hier wohnen darf, weil es so super ist. Andere Städte servicieren Unternehmen.

Franz Schellhorn auf dem #Wien 2030 Forum

Wirtschaftsvordenker Franz Schellhorn

Eva Komarek, Moderatorin:
Wie groß ist denn die Innovationskraft in Wien?

Franz Schellhorn:
Es gibt viel Innovationskraft in Österreich und Wien, sonst wäre die gute wirtschaftliche Position nicht machbar, dass wir mehr als die Hälfte unseres Wohlstands jenseits der Staatsgrenzen erwirtschaften. Aber das wir jetzt sensationell gut aufgestellt sind, würde ich bezweifeln. Nehmen wir nur das Beispiel Google. Wien ist eine der lebenswertesten Städte der Welt. Aber dennoch gehen Firmen wie Google mit 4.000 Mitarbeitern nach Zürich. Warum? Weil es dort hervorragende Universitäten wie die ETH gibt. Und weil es in Wien immer noch als Gnade gilt, hier sein zu dürfen. Also hier ein Unternehmen zu betreiben, gute Jobs anzubieten und pünktlich seine Steuern zu bezahlen.

Eva Komarek, Moderatorin:
Wie werden wir in Zukunft in Wien arbeiten? Werden die Büros leer sein? Werden wir von zu Hause arbeiten und uns diesen Platz auch leisten können

Eugen Otto:
Die erste Frage ist: Wie soll die Wohnung heute ausschauen im Gegensatz zu der Zeit vor Corona? Früher reichte eine Arbeitsecke in der Wohnung. Die meisten, die heute umziehen, schauen, dass sie ein Zimmer mehr haben. Das steht im Widerspruch zum hohen Preis. Die Bereitschaft, in Großraumbüros eng zu sitzen, hat stark abgenommen. Weniger Platz brauchen die Unternehmen auch, weil die Menschen von zu Hause auch super arbeiten können. Ein Headquarter braucht es, um ein Signal zu setzen. Der große Wechsel wird sein, dass die Menschen an verschiedenen Orten gut arbeiten können. Und wollen. Bürotürme werden auch verschwinden. Das LeopoldQuartier ist so ein Beispiel. Da stand früher ein Siemens Bürogebäude, jetzt entsteht hier ganz was Neues, Nachhaltiges – Europas erstes Stadtquartier aus Holz.

Eva Komarek, Moderatorin:
Glauben Sie, dass Büroflächen abnehmen werden, zumal ja alles digitaler wird?

Eugen Otto:
Ja, wir rechnen mit zwölf bis 20 Prozent weniger Bürofläche. Das Reisen wird auch sehr betroffen sein. Niemand fliegt für einen zweistündigen Termin nach London. Da geht aber auch viel verloren an sozialem Austausch. Auch wir haben Cocktailpartys via Zoom probiert. Ein-, zweimal ist das lustig, aber auf Dauer will man den Menschen sehen und spüren. Wahrnehmen mit all seinen Emotionen, den Ortswechsel spüren, zufällige Begegnungen haben.

Theresa Fink:
Durch die Digitalisierung werden Büros hybrid sein. Räume ändern sich. Da braucht es neue Lösungen und Orte, wo das besser funktioniert. Innovation ist durch den persönlichen Kontakt getrieben, der muss bleiben. Ganz wichtig ist auch, dass das Homeoffice ganz neue Möglichkeiten öffnet. Weil sich die Menschen überlegen: Wie nutze ich denn die Umgebung um mich, wenn ich nicht jeden Tag woanders zur Arbeit hinfahren muss. Öffentlicher Raum wird anders erlebt, gerade der nahe öffentliche Raum zur Wohnung. Das Motto heißt: 15-Minuten-Stadt, Stadt der kurze Wege.

Sabine Müller:
Büros wird es immer brauchen, weil es ein Ort der Unternehmenskultur ist. Es ist auch ein Commitment zum Unternehmen, wenn man sich dorthin begibt. Aber es muss weder nine to five noch Montag bis Freitag sein. Arbeiten kann man von überall. Aber für gemeinsame Kreativität braucht es eine Lösung, dass man gemeinsam in einem Raum sitzt. Mehr Co-Creation-Räume, dafür auch mehr Einzel-Videocall-Kabinen. Büros schauen anders aus. Die großen Meetingräume werden größer, die vielen kleinen Meetingspaces dafür mehr.

Auch zu Hause verändert sich das Arbeiten: Es ist nicht mehr die Wohnung allein, sondern es braucht künftig einen Co-Working-Space für das Haus. Früher war das der Partyraum, heute wird daraus das Gemeinschaftsbüro. Für die Bewohner*innen, und im besten Fall auch gleich für die Nachbarschaft. Solche Räume wird man vermehrt in Wiener Wohnimmobilien finden. Immobilen sind nicht mehr reine Bürogebäude, reine Wohngebäude, sondern in einer Stadt der kurzen Wege darf sich alles mischen. Da ist die Stadt auch gefordert, andere Widmungskategorien zuzulassen. Da hinkt die Widmung noch regulatorisch hinterher.

Franz Schellhorn:
Es ändert sich total. Früher war es ja so, dass das Homeoffice an Mon- und Freitagen sehr beliebt war. Ich glaube, es gibt da jetzt schon einen großen Trend zurück. Homeoffice wird bleiben, aber wesentlich weniger werden. Dann gibt es auch die Befürchtung, dass Karrieren im Büro entschieden werden. Zudem braucht der Mensch eine Struktur. Der Anteil der Menschen, die aufstehen, Zähne putzen, sich anziehen, Podcast hören, ins Büro gehen, dort arbeiten, dann nach Hause gehen, fernsehen oder streamen, ist sehr hoch. Ein Problem ist, dass Homeoffice in Österreich noch immer als eine Art freier Tag gewertet wird. Warum dürfen andere im Homeoffice arbeiten und ich nicht? Auch Arbeitgeber sehen das ähnlich. Wenn sie aber das Gefühl haben, ihr Mitarbeiter oder ihre Mitarbeiterin machen im Homeoffice nur blau, dann müssen sie sich fragen, ob sie die richtigen sind. Unsere Erfahrung im Kleinen war: Bis auf Eltern mit Kindern im Homeschooling (Parent Teaching) war die Produktivität sehr hoch. Aber wenn die Kinder daheim waren, dann funktionierte das so nicht.

OTTO Immobilien #Wien Forum 2030

Eva Komarek, Moderatorin:
Wagen wir einen Blick auf das Jahr 2030. Was sind Ihre Wünsche, Ihre Visionen bis dahin?

Sabine Müller:
Für Wien wünsche ich mir, dass die Stadt noch grüner ist. Die Straßen voller Menschen. Weniger Autos. Vernetzter. Mit mehr Bewegungsraum. Raus aus der Nostalgieschleife, Zukunftsmut haben, international denken, den Blick über den Tellerrand richten. Eine happy healthy City.

Theresa Fink:
Meine Vision ist eine Stadt mit qualitativem Lebensraum und mehr Grün in den Straßen, Freiräumen und auf Dächern und Fassaden. Und die Sensibilisierung der Bevölkerung, um das gemeinsam mitzugestalten. Wir brauchen multifunktionale Freiräume, nachhaltige Gebäude, eine Änderung von Mobilitätsverhalten und die Förderung von aktiver Mobilität, sowie neue Servicemodelle der Mobilität. Es ist nicht die Aufgabe der Stadt alleine, das alles umzusetzen. Dafür braucht es auch die Bevölkerung, die Teil der Veränderung ist und mit Verhaltensänderungen einen großen Beitrag leisten kann.

Eugen Otto:
Ich wünsche mir eine neue Unternehmenskultur für die Stadt. Das wird nicht ohne Schmerzen, Aufwand und Verzicht gehen, aber mit positiver Veränderung kann sich die Stadt gut entwickeln. Dazu möchten wir alles uns Mögliche beitragen. Auch, dass das Wohnen wieder leistbarer wird. Bauen tun wir nichts, das können andere besser. Aber in der Meinungsbildung wollen wir viel bewirken. Wo wird wie gebaut, was wird wie nachhaltig renoviert? Welche Expert*innen und Professionalist*innen sorgen für eine nachhaltige Entwicklung in unserer Branche. Menschen zusammenbringen, Barrieren abbauen, eine Bühne für die Gemeinschaft schaffen. Dafür sorgen, dass es mehr Austausch von Meinungen zwischen Investoren, Käuferinnen und Verkäufern gibt. Das ist mein großes Ziel bis 2030.

Markus Müller:
Worüber wir hier reden, ist Innovation. Wien hat zwar wie alle Metropolen gewisse Defizite, ist aber eigentlich ein hervorragender Standort, wenn man die Welt ein bisschen kennt. Wie attraktiv die Stadt ist, und wie gut und gesund es sich darin wohnen lässt, hängt auch davon ab, wie gut wir als Standort im internationalen Wettbewerb abschneiden. Was wir in Österreich sehr leicht übersehen, ist, dass wir eben in einem solchen internationalen Innovationswettbewerb stehen. Viele Dinge, die wir hier diskutieren, werden ja weltweit diskutiert. Ich wünsche mir ein Commitment des Landes und der Stadt, sich auch aktiv diesem Innovationswettbewerb zu stellen. Den Anspruch zu haben, Innovation Leader zu sein. Die Entwicklungen nicht nur auf das Wohlfühlen zu lenken, sondern auf Innovation und Leadership.

Franz Schellhorn:
Da kann ich mich nur anschließen. Ich wünsche mir bis 2030 eine Stadt, die weiß, warum internationale Delegationen anreisen, um sich hier große Veränderungen und Lösungen anzusehen. Das kann die digitalisierteste Stadtverwaltung Europas sein, das beste Gesundheitssystem, das beste Netzwerk an öffentlichen Verkehrsmitteln, die nachhaltigsten Stadtviertel. Also nicht nur Fiaker und Schnitzel und der Heurige im Stadtgebiet. Das ist alles super, wird aber nicht reichen. Daher wünsche ich mir eine moderne, solidarische, lebenswerte Hochleistungsstadt. Ich bin schon sehr happy, wenn man das bis 2030 ein wenig spüren kann. Dass man sich ehrlich bemüht, Lebensraum für eine kommende Generation zu schaffen, wettbewerbsfähig zu bleiben, den Wohlstand zu erhalten. Sonst bleibt uns nur der Spruch des Wiener Literaten Alfred Polgar: „Wir blicken mit Zuversicht in die Vergangenheit.“ Das darf nicht passieren.


    

#Wien - Wohnmarktmagazin, Ausgabe 2022

Diesen Beitrag haben wir unserem aktuellen #Wien - dem Wohnmarktmagazin von OTTO Immobilien entnommen:

Auf über 70 Seiten finden Sie alle Zahlen, Daten und Fakten über den Wiener Wohnungsmarkt, die für immobilieninteressierte Menschen von Bedeutung sind. Außerdem beleuchten unsere Expert*nnen das Thema „Wohnen & Leben in Wien“ aus allen Richtungen. #Wien ist unser Geschenk an Sie: