FORUM #WIEN 2030 – Der Blick in die Zukunft
Was Meinungsführer*innen über die Zukunft der Stadt denken. Fakten, Trends, Visionen und Utopien zeigen, wohin die Reise Wiens 2030 geht. Stadtentwicklung, Bildung, Innovation, Wirtschaftskraft, Digitales, Gesundheit, Nachhaltigkeit – wichtige Themen für die Zukunft der Stadt. Im Rahmen des Forum Wien #2030 von OTTO Immobilien tauschen Expert*innen aus Wirtschaft und Wissenschaft ihre Gedanken, Meinungen und Erfahrungen zum Thema „Wien 2030“ aus. Unterschiedliche Standpunkte aus der Sicht der Meinungsführer*innen, die ja gleichzeitig auch Bewohnerinnen und Konsumenten sind, veranschaulichen die größten Chancen und Herausforderungen der wachsenden Metropole Wien.
Es diskutieren:
◻️ SABINE MÜLLER ist Chief Innovation & Marketing Officer bei Value One. Sie betreut und entwickelt alle Marken der Gruppe und verantwortet den Bereich Innovation & Trends. Zu ihren größten Erfolgen gehört das mehrmals preisgekrönte Stadtentwicklungsprojekt Viertel Zwei im 2. Wiener Gemeindebezirk und die Entwicklung der ersten privaten Studentenapartments in Österreich.
◻️ THERESA FINK ist Forscherin am AIT Austrian Institute of Technology für neue Ansätze der digitalen, parametrischen Stadtplanung. Ihre Expertise liegt im Bereich urbaner Analysen und interaktiven Planungs- und Visualisierungsmethoden der nachhaltigen Stadtentwicklung.
◻️ EUGEN OTTO ist geschäftsführender Gesellschafter der OTTO Immobilien GmbH. Das Unternehmen hat aktuell 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und gehört damit zu den größten privaten, unabhängigen und vom Eigentümer geführten Immobilienberatern des Landes.
◻️ FRANZ SCHELLHORN leitet seit Februar 2013 den in Wien ansässigen Think Tank Agenda Austria, der sich mit relevanten wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigt. Nach dem Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien heuerte er bei der Tageszeitung „Die Presse“ an, für die er 15 Jahre lang arbeitete. Von 2004 bis 2013 leitete Franz Schellhorn das Wirtschaftsressort der „Presse“, ab dem Jahr 2011 fungierte er zudem als Mitglied der Chefredaktion.
◻️ MARKUS MÜLLER ist Professor für Innere Medizin und klinische Pharmakologie. Seit 2015 ist er Rektor der Medizinischen Universität Wien, 2018 wurde er auch zum Präsidenten des Obersten Sanitätsrates gewählt. Er hat etwa 200 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht, unter anderem im New England Journal of Medicine.
◻️ Moderation: Eva Komarek – General Editor for Trend Topics, Styria Media Group
◻️ Dokumentation: Robert Kropf
◻️ Fotos: Chris Steinbrenner
Eva Komarek, Moderatorin:
Wenn Sie für uns einen Blick in Ihre Glaskugel werfen: Was sind denn aktuell die größten Herausforderungen und Veränderungen, mit denen Sie und Ihre Branchen konfrontiert sind?
Sabine Müller:
Das ist der Green Deal der EU – die Antwort der EU auf die Klimakrise. Stichwort ESG – Environment Social Governance. Es geht darum, dass sich nachhaltiges Handeln in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmenskultur zukünftig im Unternehmenswert und im Wert der Immobilie niederschlägt. Hab ich ein gutes Ranking, ist meine Immobilie mehr wert. Hab ich ein schlechtes, fällt der Wert. Es ist sehr weise von der EU, mit neuen Regeln (EU-Taxonomie) die Geldströme zu lenken. Denn wenn man als Immobilienentwickler per se nicht klimasensibel plant und handelt, wird man nun gezwungen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen. So wie sich gerade alle größeren Unternehmen in der Immobilienbranche damit beschäftigen – Banken, Investoren, institutionelle Käuferinnen. Große Investmentfonds haben derzeit noch nicht viele EU-Taxonomie-Gebäude im Portfolio und suchen derzeit spürbar Leuchtturmprojekte im Bereich Nachhaltigkeit.
Zweitens: Die digitale Transformation ist in der Baubranche angekommen. Spät aber doch. Die Planung wird digitaler, es gibt neue Bauverfahren, es geht in Richtung automatisiertes Bauen, Vorfertigungen werden wichtig. Das spart Zeit und schon die Umwelt.
Die dritte Veränderung: Die vernetzte Immobilie, die mehr Komfort bietet, weniger Energie verbraucht, weniger CO2 produziert. Last but not least: der demographische Wandel. 2040 wird in Europa mehr als die Hälfte der Bevölkerung über 50 sein und wir leben länger. Das fordert neue Wohn- und Nutzkonzepte, Stichwort Ambient Assisted Living, die wir jetzt schon mitdenken müssen, wenn wir nachhaltig entwickeln wollen.
Theresa Fink:
Die disruptive Veränderung durch die Digitalisierung zeigt in der Stadtentwicklung auch positive Effekte: Wir können die Stadt- und Gebäudeplanungen viel genauer berechnen, simulieren, analysieren und auch visualisieren. Und somit auch die Effekte von Entscheidungen aufzeigen und kommunizieren. Wir arbeiten am AIT im City Intelligence Lab mit digital dargestellten, faktenbasierten Szenarien und Planungsmodellen, in denen wir die Themen Energie, Klima und Mobilität optimal integrieren. In diese Modelle rechnen wir alles mit ein: Energieverbrauch von Immobilien, Erreichbarkeiten – wie nahe liegen sie zum öffentlichen Verkehr, zur Infrastruktur der täglichen Versorgung – und auch den thermischen Komfort im Freiraum. Stichwort 15-Minuten-Stadt: Wie gut versorgt ist ein Gebäude oder ein Quartier, welches Potenzial haben Flächen? Woran wir früher tagelang gezeichnet und gerechnet hätten, schaffen wir jetzt unter Einsatz intelligenter Algorithmen in wenigen Minuten. Eine gute Grundlage bilden frei verfügbare Daten in guter Qualität – Open Data – Wien ist hier sehr gut aufgestellt.
Eugen Otto:
In der nahen Zukunft beschäftigen wir uns mit der nachhaltigen Verwaltung von Immobilien. Die Herausforderung in der Stadt ist: Wie kann ich im eng verbauten Gebiet den Kriterien der Nachhaltigkeit entsprechend und abhängig von den neuen fixen Regeln der EU, sprich ESG, zukunftsorientiert umbauen. Wie können wir das Klima in Gebäuden, die Heizung, die Kühlung verändern. Es ist gar nicht so leicht, Expert*innen zu finden, die solche Projekte schon umgesetzt haben und eine Credibility List haben, dass das schon funktioniert.
Deshalb ist es auch wichtig, dass Dienstleister*innen dieses ESG-Verfahren moderieren, begleiten, beraten. Da entsteht gerade eine Industrie, die diese Prozesse unterstützt. Deswegen wird ESG an Tempo zunehmen. Wenn die ESG-Dokumentation gut ist, wird jeder Investor sagen: In ein ganz grünes Gebäude investiere ich mehr als in ein grau-grünes Gebäude.
Wir lernen hier auch viel von Gründerzeithäusern. Sie sind die nachhaltigste Gebäudeform nach der Höhle. Warum? Die Öko-Bilanz ist gut, weil sie schon 150 bis 200 Jahre alt sind. Viele dieser Zinshäuser wurden als kleine Einzelwohnungen, als Arbeiterunterkünfte um den Ring und Gürtel gebaut. Sie wurden mehrfach umgebaut, vergrößert, wieder verkleinert. Als Büro, Werkstätten, Ordinationen wiederverwendet. Es gab immer Nachverdichtungen nach oben, es wurden Stockwerke dazu gebaut. Potenzial gab es immer, etwa die Dachböden auszubauen. Das war die Verdichtung nach oben in den letzten 30 Jahren. Nachhaltiger geht’s nicht mehr. Wenn man hier heute die richtigen Maßnahmen setzt – Türen und Fenster gut dichtet – kriegt man nachhaltiges Wohnen schon sehr gut hin. Von den Zinshäusern können wir uns heute noch viel abschauen.