Das Zinshaus in Wien und seine Geschichte

Das Zinshaus in Wien und seine Geschichte

Das Zinshaus in Wien und seine Geschichte

Als die für Zinshäuser der Gründerzeit relevante Bauperiode gelten die Jahre zwischen 1848 und 1918. In dieser Ära durchlief der Wiener Wohnbau eine prägende Entwicklung, die der Stadt bis heute ihr spezielles Flair verleiht: Es entstanden die für Wien so typischen Zinshäuser.

Titelbild: Christian Steinbrenner 

Die Gründerzeit, getragen vom Großbürgertum in der Hochblüte des Liberalismus, war gleichzeitig die Epoche der Entwicklung Wiens zur internationalen Metropole.

Die Entfaltung eines neuen Unternehmertums – nur kurzzeitig durch den Börsenkrach im Jahr 1873 unterbrochen – führte zur Entstehung einer Gesellschaftsschicht, die den Adel in vielen Funktionen ablöste, wirtschaftlich und politisch. Die Epoche unterteilt sich in Frühgründerzeit (ca. 1840 – 1870), Hochgründerzeit (ca. 1870 – 1890) und Spätgründerzeit (ca. 1890 – 1918).

Der Grund für die Entstehung der Zinshäuser war die Bevölkerungsexplosion, die im Zuge der Industrialisierung stattfand. Es kam zu einer umfangreichen Landflucht, unter anderem der jüdischen Bevölkerung aus den Kronländern der Habsburgermonarchie in die damalige Reichshaupt- und Residenzstadt. Während um 1800 rund 250.000 Menschen in Wien lebten, erreichte die Stadt um 1910 ihren historischen Einwohner-Höchststand von über zwei Millionen. Dieses enorme Wachstum erhöhte den Bedarf an Wohnraum in der Metropole; ein weiterer Grund für die Entstehung der Zinshäuser war das Aufbrechen der traditionellen sozialen Bindungen in der Großfamilie sowie zwischen Arbeitgeber und Angestellten. Das starke Wachstum der Einwohnerzahl kannte allerdings eine Ausnahme: In der Innenstadt war die Bevölkerungszahl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gegensatz zu den restlichen Bezirken rückläufig. Die rege Bautätigkeit im Stadtkern hatte also repräsentative Gründe und diente nicht der Schaffung von Wohnraum wie im restlichen Wien.

Dies zeigt sich auch in der unterschiedlichen Architektur: „Was die Art der Entwürfe und die Ausführung der Bauten betrifft, so unterscheiden sich in augenfälliger Weise die [...] von den maßgeblichsten Künstlern der Zeit gestalteten Wohnpaläste von den architektonisch eher anspruchslosen Zinshäusern in den äußeren Bezirken.“

 
Plan: Carl Graf Vasquez, 1830 © Wien Museum

Plan: Carl Graf Vasquez, 1830 © Wien Museum

Stadterweiterung

Der hohe Wohnraumbedarf in den Außenbezirken, hervorgerufen durch das dort vorherrschende starke Bevölkerungswachstum, wurde zu einem sozialen Problem: In den 1840er Jahren lebten in Wien und den Vororten bereits 500.000 Menschen; die mangelhaften Wohnverhältnisse waren ein wesentlicher Faktor für den Ausbruch der Revolution von 1848. Zur Verringerung der sozialen Sprengkraft wurde 1849 der Neubau von Wohnhäusern steuerlich begünstigt und zur Verbesserung der Verwaltung wurden 1850 die Vororte bis zum Linienwall (dem heutigen Gürtel) eingemeindet.

Der Wohnbau wurde mittlerweile auch für das Bürgertum zunehmend interessant, und mit den neuen Auftraggebern änderte sich auch die Gestalt der Gebäude: Die Grundstücke, die einen ganzen Straßenblock umfassten, wurden aufgeteilt, da sich die bürgerlichen Bauherren die Bebauung eines ganzen Blocks nicht leisten konnten. Die organisatorisch völlig selbständigen Einzelhäuser des Blocks wurden auch nach außen zunehmend differenziert. Diese Blockrandbebauung blieb bis 1918 der prägende Typ der Wohnhausarchitektur, die sich auch stilistisch weiterentwickelte.

Das Wien Kaiser Franz-Josephs I.

Die Regierungszeit Kaiser Franz-Josephs I. (1848 – 1916), dem Wien den letzten Glanz der Monarchie verdankt, war von einer massiven Umstrukturierung des Stadtgrundrisses geprägt: Nachdem 1850 die Vorstädte rechtlich mit Wien vereinigt worden waren, befahl Kaiser Franz-Joseph im Jahre 1857 die Schleifung der Befestigung und die Anlage einer Prachtstraße an ihrer Stelle. Es entstand die 1865 feierlich eröffnete Ringstraße, ein hervorragendes Beispiel der Stadtplanung des 19. Jahrhunderts und der bedeutendste historistische Prachtboulevard Europas. Die damit in Zusammenhang stehende erste Wiener Stadterweiterung seit dem Hochmittelalter zählt zu den städtebaulich bedeutendsten Leistungen des europäischen Historismus.

Das Zinshaus in der Frühgründerzeit (1840 – 1870)

Schon ab etwa 1840 wurden im Bereich der alten Vorstadtkasernen verstärkt Wohnhäuser errichtet. Die exzessive Bautätigkeit der eigentlichen Gründerzeit begann allerdings erst mit dem Fall der Basteien. Was die Form der Grundrisse betrifft, so überwog anfangs noch die herkömmliche langrechteckige Parzelle. Diese machte bald einer gedrungeneren, dem Quadrat ähnlicheren Form Platz. Auf diesen Grundstücken entstanden die Straßentrakter, während die schmalen Grundstücke Seitenflügeltypen aufwiesen.

Die Bauhöhen waren vor allem außerhalb des Linienwalls relativ gering. Sowohl der annähernd quadratische als auch der längliche Grundrisstyp wurzelten in der vorstädtischen Bautradition. Allerdings wurde die Aufteilung des Innenraumes im Laufe der Zeit stark verändert: Abgesehen von der „Hausherrenetage“ wurden dicht aneinander gereihte Zimmer-Küche- bzw. Zimmer-Küche-Kabinett-Wohneinheiten entlang eines langen Ganges geschaffen. Auf diese Weise konnte die höchste Raumausnützung gewährleistet werden. Ein Sondertypus der Frühgründerzeit waren die „Pseudowohnhöfe“: Diese entstanden aus der spiegelbildlichen Koppelung zweier Seitenflügelhäuser und wurden auf Doppelparzellen errichtet. Das rasante Anwachsen der Bevölkerung führte zur Entstehung von Massenzinshäusern in den Vorstädten, wo ab 1850 die bis zu viergeschoßige Bebauung möglich war. „Charakteristisch für die äußere Erscheinung des frühgründerzeitlichen Mietwohnhauses ist die schmuckarme Gleichförmigkeit der Fassaden, die sich nach dem Prinzip der ,gleichmäßigen Reihung‘ zu einheitlichen, kaum akzentuierten Straßenwänden zusammenschließen.“

 
Zinshaus in Wien

© Christian Steinbrenner

Das Zinshaus in der Hochgründerzeit (1870 – 1890)

Mit dem Beginn der Hochgründerzeit wurden auch andere stilistische Anregungen aufgegriffen, und mit dem Beginn der Hochgründerzeit, die von 1870 bis 1890 dauerte, trat ein dramatischer Stilwechsel ein: Ausgelöst durch die neuen öffentlichen Monumentalbauten der Ringstraße (Museen, Parlament, Rathaus, Universität) wurden die Formen der staatlichen Repräsentation auch von den privaten Bauherren übernommen. Während die Häuser im Inneren relativ einheitlich gestaltet und organisiert waren, widmete man der Individualisierung nach außen viel Aufwand. Die meisten historischen Bank- und Börsengebäude Wiens wurden ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet, im Späthistorismus schließlich erreichte die Gestaltung der Geschäftsstraßen ihren Höhepunkt. Stilistische Mittel waren die starke Gliederung der Baukörper, plastischer Dekor und die Verbindung mehrerer Geschoße durch vorgeblendete Säulen an der Fassade. Die Gestaltungsmöglichkeiten waren groß, da die Fassadenelemente aus einem reichen Angebot an industriellen Serienprodukten ausgewählt werden konnten. Andererseits entstand aber durch die großflächige Wiederholung ähnlicher Elemente eine gewisse Monotonie in den Straßenzügen. Der von den Zeitgenossen oft kritisierte Fassadenschmuck ist ein typisches Wiener Phänomen. In keiner anderen europäischen Großstadt wurde er so prächtig auch an einfachen Wohnbauten ausgeführt. Der Jugendstil, der für Wien in anderen Bereichen eine so prägende Rolle spielte, war für den Wohnbau nicht ganz so bedeutend. Er war der Stil der Avantgarde, des fortschrittlichen Bürgertums und der öffentlichen städtischen Bauten.
 

Geschichte des Wiener Zinshaus

© Christian Steinbrenner

Das Baugeschehen dieser Periode war von zwei Faktoren geprägt: Repräsentation einerseits und möglichst lukrative Ausnutzung der teuren Bauplätze andererseits. Monumentale Gebäude mit Fassaden im Stil der italienischen Hochrenaissance waren Ausdruck einer „Nobilitierung des Zinshauses zum Wohnpalast“. Etwa um die gleiche Zeit entstanden in den nobleren Stadtrandbezirken die typischen Wiener Gründerzeit Villen. Im Gegensatz dazu erlaubten die Bauordnungen von 1870 und 1883 die Errichtung von fünf Geschoßen inklusive Erdgeschoß und Mezzanin mit einer Maximalhöhe von 25 Metern, sofern die entsprechende Straßenbreite gegeben war.Das Baugeschehen dieser Periode war von zwei Faktoren geprägt: Repräsentation einerseits und möglichst lukrative Ausnutzung der teuren Bauplätze andererseits. Monumentale Gebäude mit Fassaden im Stil der italienischen Hochrenaissance waren Ausdruck einer „Nobilitierung des Zinshauses zum Wohnpalast“. Etwa um die gleiche Zeit entstanden in den nobleren Stadtrandbezirken die typischen Wiener Gründerzeit Villen. Im Gegensatz dazu erlaubten die Bauordnungen von 1870 und 1883 die Errichtung von fünf Geschoßen inklusive Erdgeschoß und Mezzanin mit einer Maximalhöhe von 25 Metern, sofern die entsprechende Straßenbreite gegeben war.

Das Zinshaus in der Spätgründerzeit (1890 – 1918)

Im Zuge der zweiten Stadterweiterung um 1890 wurde der Gürtel angelegt und die Integration der Vororte in das Stadtgefüge fortgesetzt. Die rasant steigenden Bodenpreise forcierten die Verwertung der verfügbaren Grundflächen, was mit einer Verschlechterung der Wohnqualität einherging. So entstanden überlange Gänge durch die Reduktion der Stiegenhäuser; die Fläche der Haupthöfe schrumpfte zugunsten mehrerer kleiner Lichthöfe, um welche die Nebenräume, wie Kabinette und Toiletten angeordnet wurden.

Die maximale Flächenausnutzung des Grundstückes stand im Vordergrund; in der Bauordnung von 1895 wurde eine Reduzierung des Hofausmaßes auf 15 Prozent zugelassen, sodass nahezu die gesamte Parzelle verbaut werden durfte. Kleine Lichthöfe sowie Luftschächte mussten für die Tageslicht- und Frischluftversorgung der innen liegenden Kabinette bzw. Nebenräume genügen. Innerhalb der Gebäude gingen die Statusunterschiede zurück: Die soziale Bedeutung der Stockwerke wurde durch die Einführung des Liftes im gehobenen Miethaus ausgeglichen; auch die Frage, ob eine Wohnung weiter vorne oder hinten im Gebäude lag, nahm an Bedeutung ab.

Für die Spätgründerzeit charakteristisch war der Doppeltrakter, der bei tiefen Parzellen auch mehrfach hintereinander gekoppelt sein konnte. In den Vororten war der Straßentrakter der am stärksten vertretene Zinshaus-Typ, während in den inneren Bezirken ein neuer Bautyp entstand: der Straßenhof mit zurückversetztem Mittelteil – ein später Nachfahre des barocken Ehrenhofes. Neben die altdeutsche Formenwelt trat bald jene des heimischen Barock, was den Bedürfnissen nach gesteigertem Prunk entgegenkam. Eine zunehmende Tendenz zur Vertikalität, Asymmetrie und Kopflastigkeit herrschte in diesem Zeitabschnitt vor, wobei der sich um die Jahrhundertwende entfaltende Jugendstil mit dem Späthistorismus Mischungen einging, die oft zu originellen Schöpfungen führten.
 

Zinshaus

Die meist gusseiserne Konstruktion wurde früher für das Abstellen von Kohlensäcken verwendet. (Foto links)
Wohnung mit den für den Altbau typischen hohen Raumhöhen und Fischgrätenparkett. (Foto rechts)

Mindeststandards

Die großflächige Bebauung der Vorstädte wurde durch die Entwicklung leistungsfähiger Massenverkehrsmittel begünstigt: Die Straßenbahn bildete ab etwa 1865 eine Verbindung zwischen der Stadt und den Vororten, die 1890 eingemeindet wurden. Der Wohnraumbedarf der dort lebenden Arbeiterfamilien war enorm. Die Errichtung von kleinen, erschwinglichen Wohnungen wurde daher gefördert, wobei gewisse Mindeststandards einzuhalten waren; zum Beispiel der Verzicht auf Souterrainwohnungen oder die Bereitstellung der Wasserversorgung auf jedem Stockwerk. Um die Bodenrendite dennoch zu erhalten, wurde der mögliche Bebauungsgrad auf 85 Prozent des Grundstücks angehoben, das heißt, die Höfe wurden zu Lichtschächten reduziert. Prächtige Fassaden sollten über den niedrigen Standard der Häuser hinwegtäuschen und die Vermietbarkeit verbessern – ungeschmückte Häuser wurden schon damals vom Markt weniger gut angenommen.
 

Zinshaus-Typen – Die Phasen der Gründerzeit

Während die Fassadengestaltung relativ unabhängig vom Standard des jeweiligen Gebäudes war, gab es im Inneren erhebliche Unterschiede, je nach Kaufkraft und Repräsentationsbedürfnis der Klientel. Vor allem die Größe der Wohnungen, ihre Belichtung sowie die sanitäre und technische Ausstattung differierten stark.

Nobelmiethaus:

Im Gebiet der Innenstadt sowie entlang der Ringstraße und der repräsentativen Ausfallstraßen der inneren Bezirke ergänzten prächtige Foyers und Stiegenhäuser die Repräsentation an der Fassade.

Bürgerliches Miethaus:

Im Gebiet der Vorstädte wurden die Wohnungen meist ohne lange Gänge direkt durch das Stiegenhaus erschlossen. Pro Stockwerk waren daher nur wenige Wohnungen untergebracht. In der Spätgründerzeit wurden diese Häuser auch mit Lift und die Wohnungen mit Sanitärräumen ausgestattet.

Arbeitermiethaus:

Kleine Wohneinheiten (ab 25 m²) wurden durch lange Gänge erschlossen, die in der Frühform außen lagen und „Pawlatschen“ hießen. Vom Gang gelangte man typischerweise direkt in die Küche, dahinter lag meist ein Wohnraum. Wasserversorgung und Sanitärräume waren am Gang eines jeden Geschoßes – in frühen Bauten nur im Parterre – untergebracht.
 

Geschichte des Wiener Zinshaus

Erster Wiener Zinshaus-Marktbericht: Herbst 2023

Im ersten Halbjahr konnte sich auch das Wiener Zinshaus dem allgemeinen Trend nicht länger entziehen: Aus einem Verkäufer- wurde ein Käufermarkt. Diese Entwicklung spiegelt sich sowohl in den Verkaufszahlen als auch in den Volumina wider, die beide deutlich gesunken sind. Eine positive Nachricht gibt es dennoch: Die Preise sind zwar gesunken, aber nicht so stark wie in anderen Assetklassen. Für 2024 sind wir wieder optimistisch − wir erwarten eine Stabilisierung des Zinsniveaus, was dazu führen sollte, dass sich das Marktgeschehen dynamischer gestaltet und die Transaktionen wieder ansteigen.

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