Ausblick – Anja Mutschler zur aktuellen Stimmung am Retail-Markt

Anja Mutschler zur aktuellen Stimmung am Retail-Markt

Ausblick – Anja Mutschler zur aktuellen Stimmung am Retail-Markt

„Le roi est mort, vive le roi – Der König ist tot, lang lebe der König“

Text: Anja Mutschler // Fotos: Christian Steinbrenner

Diese Redewendung war lange Zeit die Heroldsformel, mit der in Frankreich der Tod des alten Königs bekannt gegeben und gleichzeitig der neue König ausgerufen wurde, um die ungebrochene Kontinuität der Erbmonarchie auszudrücken. Um es in die Welt des Einzelhandels zu transferieren, könnte man daraus ableiten, dass der Retailmarkt trotz aller Negativschlagzeilen wie Insolvenzen, Verkaufsflächenreduktionen, erhöhte Energiekosten oder gesunkenes Kaufverhalten immer wieder die Kraft aufbringt, sich neu zu erfinden – sei es mit besonderen Storekonzepten, alternativen Nutzungen, neuen Playern am Markt, Monobrand-Stores oder Entertainment-Welten. Wieder einmal zeigt sich, dass nichts so stabil ist, wie die stetige Veränderung.

Während bei einem Großteil der Retailer der Trend hin zu strategischen Portfoliooptimierungen bzw. Relocations zu erkennen ist, erweisen sich zwei Teilsegmente derzeit als besonders expansiv. Die „Discounter“ profitieren vom sich verändernden Konsumverhalten und der gesunkenen Kaufkraft, was sich in deren Bestrebungen im Ausbau des Standortnetzes niederschlägt. Des Weiteren verhält sich auch das „Luxury“ Segment als äußerst expansionsfreudig und sichern sich weltweit Top-Locations mit dem Ziel, Präsenz zu signalisieren. Dies ist deutlich erkennbar an den geplanten bzw. bereits vollzogenen Neueröffnungen hochwertiger Marken in Spitzenlagen der Wiener Innenstadt wie dem goldenen Quartier oder dem Kohlmarkt.

Was alle Expansionsgeschehen eint, ist die Tatsache, dass mehr Wert auf eine umfassende Standortanalyse gelegt wird und der Zeitraum der Gesamtabwicklung des Ankaufsprozesses tendenziell länger wird. Innerhalb der Mietvertragsvereinbarungen sind mehr denn je konsensfähige Lösungen in Bezug auf flexible Ausstiegsklauseln und Verlängerungsoptionen, Staffel- sowie Umsatzmieten, Baukostenzuschüsse, Pandemie- sowie Kriegsklauseln gefragt.

Eine weitere interessante Tendenz ist bereits seit längerem erkennbar und wurde von den Expert*innen von RegioPlan kürzlich analysiert – derzeit stehen je Einwohner ca. 1,56m² Handelsfläche zur Verfügung, wohingegen es im Jahr 2014 noch 1,77m² waren. Man könnte annehmen, dass diese Flächenreduktion hauptsächlich auf die aktuellen Insolvenzen und Rückzüge aus dem österreichischen Markt zurückzuführen sind. Faktisch hält dieser Trend bereits seit mehreren Jahren an und ist keine alleinige Entwicklung der jüngsten Ereignisse. Als Ursachen werden unter anderem der gesellschaftliche Wertewandel und das gestiegene Umweltbewusstsein angeführt. Wenngleich der Online-Handel den größten Impact über die letzten Jahre geliefert hat, sank der E-Commerce-Anteil im Vergleich zu allen Einzelhandelsausgaben erstmalig in diesem Jahr. Auch wenn es unbestreitbar bleibt, dass digitale Optionen für die Verbraucher eine große Rolle spielen, so ist der stationäre Handel trotz alledem nach wie vor beliebtester Anlaufpunkt, um Einkäufe zu tätigen. Es liegt nun an den Konzepten der bestehenden Einzelhändler, die beiden Vertriebskanäle verstärkt miteinander zu verknüpfen und die eindeutigen Vorzüge des stationären Handels (vor-Ort-Service, direkter Kontakt zum Kunden, etc.) noch besser für sich zu nutzen, nachdem in der Außenwirkung die Marke immer als großes Ganzes gesehen wird. Alternative Nutzungskonzepte in Handelszonen wie z.B. Gastronomie, Entertainment-Anbieter, Dienstleister, oder Kunst und Kultur-Angebote sollten zudem als Chance gesehen werden, die Einkaufsstraßen zu beleben und neue Konsumenten anzulocken.

Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass der stationäre Einzelhandel auch weiterhin eine wichtige Rolle in der Gestaltung attraktiver Innenstädte spielen wird. Die aktuellen Gesuche für Neuentwicklungen und Expansionsbestrebungen in den Einkaufsstraßen schaffen Zuversicht für eine positive Entwicklung.

 
Anja Mutschler, OTTO Immobilien

Dipl. BW (BA) Anja Mutschler CIS ImmoZert

Teamleiter Geschäftsflächen, Immobilienvermarktung Gewerbe

☎️ +43 1 512 77 77 387
📧 a.mutschler@otto.at


 

 

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Die vergangenen Jahre waren für den stationären Einzelhandel nicht leicht. Und doch schafft er es, sich immer wieder neu zu erfinden, wie die dynamische Vermietungssituation heuer zeigt. Für diese positive Entwicklung verantwortlich sind nicht nur die gestiegenen Passantenfrequenzen, sondern auch neue Konzepte - das gilt ganz besonders für die Toplagen. Hier können zeitnahe und oftmals lukrative Nachvermietungen gewährleistet werden, wodurch ein längerer Leerstand verhindert wird.